Ein Dorf spielt „Zigeunervertreiben“

■ Eine exemplarische Geschichte: Im Kreis Königs Wusterhausen mußte eine Gruppe von Sinti dem Druck von Vorurteilen weichen / Einwohner hörten die Bürgermeisterin von „Kanaken“ sprechen / LPG stellte Sintis Stellplatz zur Verfügung

Schwerin. „Was soll ich gesagt haben? Kanaken? Also ... also, da verwahre ich mich ganz entschieden dagegen.“ Bärbel Stumpf, die parteilose Bürgermeisterin des 750-Seelen-Dorfes Schwerin im Kreis Königs Wusterhausen, ist empört. Wie kann man es nur wagen, ihr, die ihren „Stolz“ bekundet, „von den Bürgern gewählt worden zu sein“, so etwas Gemeines zu unterstellen? Doch genau dieses gemeine, auf eine Gruppe von Sinti gemünzte Wort haben mehrere Schweriner kürzlich fallen hören. „Die Kanaken wollen wir hier nicht“, habe die Bürgermeisterin klar und deutlich in die Menge gesprochen und schließlich, „unter dem Druck des Mobs aus dem Dorf“, seien die Zigeuner abgezogen. „Bloß jetzt will's keiner gewesen sein.“

Doch der Reihe nach. Am 26. August, so berichtet Siegfried Möser, seien die Fremden in rund dreißig Campingwagen mit westdeutscher Autonummer ins Dorf gefahren und hätten einen Stellplatz begehrt. Möser, Vorsitzender einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft von 14 Bauern, bot ihnen eine zwar etwas sumpfige, aber idyllisch am Teupitzer See gelagerte Wiese im genossenschaftlichen Besitz an. Erstens, weil er für seine darbenden Landwirte eine kleine Nebeneinnahme per Vermietung erhoffte, zweitens, weil die Sinti für ihn ganz normale Menschen sind.

Doch kaum war eine entsprechende schriftliche Vereinbarung zwischen dem LPG-Chef und dem Sippenältesten der Sinti unterschrieben, stand das halbe Dorf am Acker. „Wo gibt's denn so was“ - „Was soll denn da mit meinen Enten und mit meinen Schweinen passieren?“ und „Wir haben doch kein Vorhängeschloß“ - solche und andere Sprüche hörte auch der polizeiliche „Abschnittsbevollmächtigte“ von Schwerin: „Das war gar nicht schön. Man soll die Leute doch in Ruhe lassen.“

„Die Omas haben gleich alle ihre Hühner weggesperrt und sind fast in Ohnmacht gefallen“, beschreibt ein anderer Augenzeuge die Stimmung. Und Siegfried Möser „schämte“ sich für dieses „unwürdige, schlimme Schauspiel“.

Schließlich, kurze Zeit später, soll auch noch ein junger Maurer in Wildwestmanier mit seinem Pferd um das Lager der Sinti herum gesprengt sein. Der bärtige Maurer, in seinem Häuschen gerade mit Fußbodenstreichen beschäftigt, bestreitet das: „Ick hab‘ mein Pferd doch nur vorne angeleint. Ick hab‘ nüscht gegen die Leute. Ick wollte bloß nich, daß sie diesen Platz benutzen. Die ham uns unsere Sonntagsruhe kaputtgemacht.“

„Na ja, so ein Riesengeschwader, det sieht man halt als Bedrohung an, wir sind det nich jewohnt“, verteidigt sich der Bärtige. „Et könnten ja auch dreißig Waggons mit Negern oder Indianern oder Westdeutschen sein. Und die Zigeuner, die rennen dir gleich in die Bude rin, wenn du nich uffpaßt. Die sind ja so uffdringlich.“

Ähnliches schien auch die damals herbeigeeilte Bürgermeisterin zu befürchten. „Die Kanaken wollen wir hier nich“, soll die Ex-Lehrerin gesagt haben, worauf Siegfried Möser sie als „rassenfeindliche Bürgermeisterin“ tituliert haben soll.

Das Ergebnis des Dorfaufruhrs: Die Sinti, wohl um die Sicherheit ihrer Angehörigen fürchtend, zogen ab.

Doch auch in Schwerin ist der Dorffrieden noch nicht wiederhergestellt. Am Tag nach dem Vorfall, sagt Möser, habe ihm die Bürgermeisterin mit einer Anzeige wegen Beleidigung und einer Verhandlung vor dem Kreisgericht gedroht, wenn er sich nicht entschuldige. „Als seien wir noch in der alten Zeit“, schüttelt der LPG-Chef den Kopf, „als das Kuschen vor den Autoritäten geradezu selbstverständlich war.“

Doch jetzt, in ihrem Bürgermeisterzimmer, erinnert sich Bärbel Stumpf an nichts Derartiges mehr: „Es gibt keine Anzeige. Das war eine private Geschichte zwischen Herrn Möser und mir.“ Überaus freundlich lächelt sie die fremden Besucher an. „Wir sprechen uns noch“, zischt sie Möser beim Abschied zu.

Ute Scheub