Hauptstadt Berlin: Nur keine Platzangst

■ West-östlicher Arbeitsstab erkannte anhand einer „Hauptstadt-Checkliste“: Berliner sind für historische Regierungsaufgaben kein Volk ohne Raum

Berlin. „Bonn oder Berlin?“ - das ist zumindest keine Platzfrage mehr. Daß trotz der Hypothek des braunen Größenwahns nur die alte Spreemetropole wieder groß-deutsche Hauptstadt wie auch Parlaments- und Regierungssitz werden kann, wußte das Gespann Schwierzina/Momper zwar schon von Anfang an. Die entscheidende argumentative Schützenhilfe gegen die Bonner Kritikaster hat jetzt jedoch - noch rechtzeitig vor dem 3.Oktober - ein Arbeitsstab „Hauptstadtplanung Berlin“ geliefert. Wichtigstes Zwischenergebnis des Gremiums: In der alten Reichshauptstadt gibt es genügend Räume und Flächen, um sowohl die obersten Bundesorgane und Behörden des Bundestages und des Bundesrates als auch das Präsidialamt sowie last not least die Bundesregierung gut unterzubringen.

Eingesetzt worden war der raumplanerische Braintrust im August auf Initiative von Senatorin Schreyer, von deren Stadtentwicklungsbehörde und dem SPD-Amtskollegen im Ostteil der Stadt, Clemens Thurmann. Merkwürdigerweise fehlte Thurmann auf der gestrigen Pressekonferenz, auf der allein die publicity-bewußte AL-Senatorin mit Zahlen über „Hauptnutzflächen“ jonglierte. Laut Schreyer hat der Arbeitsstab unter Leitung von Senatsdirigent Wuthe sowie Magistratsabteilungsleiter Stadtbau Dr. Stahn bzw. ein privates Planungsbüro anhand einer „Hauptstadt-Checkliste“ systematisch Raum- und Flächenpotentiale in beiden Stadtteilen untersucht.

Danach sind in (Groß)-Berlin vorerst sage und schreibe 550.000 Quadratmeter der „Hauptnutzfläche“ unterzubringen. Vorausgesetzt hat man den zumindest vorläufigen Verbleib der forschungs- und technologiepolitischen Ministerien sowie des Verteidigungsministeriums in Bonn. Von den 550.000 m2 könnten allein 370.000 m2 unmittelbar in den protzigen Regierungsgebäuden der vormaligen DDR-Hauptstadt nachgewiesen werden. Beispielsweise im Ministerium für Inneres in der Mauerstraße, im Haus der Parlamentarier in der Kurstraße oder etwa im wenig bekannten Ministerium für Geologie in der Invalidenstraße. Nicht unwichtige Einschränkung der AL-Senatorin, die sich diesbezüglich auf eine Passage der Rede des Bundespräsidenten zur Verleihung der Berliner Ehrenbürgerwürde berief: Es dürften keine „neue Machtzentralen“ ebensowenig wie neue „Wandlitze“ geplant werden. Deshalb habe der Planungsstab ganz bewußt darauf verzichtet, die ehemaligen Machtzentren an der Wilhelmstraße und den Bereich am Marx-Engels-Platz zu neuen Schwerpunkten zu machen.

In West-Berlin sind nur der Reichstag, das Schloß Bellevue und das Bundeshaus unmittelbar für Regierungsfunktionen verfügbar. Dies ergebe einen Neubaubedarf von rund 150.000 m2. Aber auch Bonn habe im Falle des Falles einen Bedarf an Neubauzuwachs von 170.000 m2.

Wenigstens Berlin hat angeblich auch „reichlich Platz“ für Neubauten, noch dazu mittenmang, so die einigermaßen überraschende Kunde der sonst fast um jedes Fleckchen Abstandsgrün ringenden Senatorin. Allein im Zentrum Ost kämen 74.000 m2 nicht bebauter Fläche in Frage, hinzugerechnet werden müßten die im Planerchinesisch „Verdichtungspotentiale“ geheißenen Flächen. Konkret etwa die Gegenden nördlich des Brandenburger Tores, nördlich der Leipziger Straße sowie hinter dem Roten Rathaus. Laut Schreyer gibt es nur am Spreebogen hinter dem Reichstagskoloß schon rund 140.000 m2 der begehrten Nutzfläche für Neubauten. Fazit: Den ermittelten 150.000 m2 stehen sogar Flächen mit einer „HNF“ von 200.000 m2 gegenüber. Erweiterungspotentiale zur Behausung der hauptstädtischen Politbürokraten sind nach der papiernen Rechnung nicht vorhanden. So wollte die Senatorin gestern auch in ureigenster Sache nicht knausern. Auch in einer wiedervereinigten Hauptstadt seien für die Vollzugsbehörden der Ressorts Stadtentwicklung und Umweltschutz weiter mindestens zwei Standorte anzustreben.

In Sachen des Grünbedarfs der Hauptstädter gab sich Schreyer ausgesprochen bescheiden. Um Ersatz für das als Botschaftsquartier ausgewiesene Diplomatenviertel zu schaffen, sei es nun um so wichtiger, am Potsdamer Personenbahnhof einen Stadtteilpark anzulegen, hieß es erst auf Nachfrage. Das vormals wohlfeile Stichwort „ökologischer Stadtumbau“ muß wohl in der voluminösen „Hauptstadt -Checkliste“ gefehlt haben.

Thomas Knauf