Der grimme Ivan und die Schlange

■ Viertelfinale der USOpen in Flushing Meadow: Ivan Lendl überraschend gegen Pete Sampras ausgeschieden, John McEnroe, Steffi Graf und Arantxa Sanchez im Halbfinale

New York (dpa/taz) - „Wohin, wohin, wohin...“, rief Günter Bosch, einstmals hochberühmter Trainer des jungen Boris Becker, nun mäßig berühmter Kolumnist und Kommentator, in die Weite des Äthers, „wohin schlägt Ivan Lendl diesen Aufschlag?“ Ivan Lendl schlug ihn mindestens zwei Meter über das anvisierte Feld hinaus, und dies war bezeichnend für seine Verfassung im fünften Satz des Viertelfinalspieles gegen den 19jährigen Pete Sampras.

Bei diesem, dem Zwölften der Weltrangliste, der schon die ersten beiden Sätze mit starkem Spiel für sich entschieden hatte, verhielt es sich genau umgekehrt. Er hatte eine lange tiefe Krise, die ihn im dritten und vierten Satz nahezu gelähmt hatte, auf wundersame Weise überwunden: durch den Verzehr einiger Bananen, wie Günter Bosch steif und fest behauptete. Was endlich auch erschöpfend erklärt, warum es die DDR nie geschafft hat, auch im Tennis die Nation Nummer 1 zu werden.

Während Lendl vor allem mit der Rückhand haarsträubende Fehler beging, sorgte Sampras im fünften Satz wieder durch seine Aufschläge für Raunen und Staunen im Publikum. 24 Asse schlug er im Verlauf des gesamten Matches, zu viel selbst für den Dritten der Weltrangliste, wie es Ivan Lendl inzwischen ist. Mit resigniertem Kopfschütteln schaute dieser den außer Reichweite an ihm vorbeihuschenden Bällen nach, verlor seinen eigenen Aufschlag zum 1:3, bäumte sich aber noch einmal auf, als er sein Service zum 2:4 zu null durchbrachte und im nächsten Spiel selbst nahe am Break war. Mit einigen wuchtigen Aufschlägen brach Sampras jedoch auch den letzen Widerstand und nahm dem ewigen Tschechoslowaken zu guter Letzt sogar noch den Aufschlag zum 6:2 ab.

Das Ende einer stolzen Serie - seit 1981 hatte Lendl jedes Jahr im Endspiel der USOpen gestanden - das sich Lendl selbst zuzuschreiben hat. Schließlich hatte er die Schlange, die ihn jetz so giftig biß, vor zwei Jahren an seiner eigenen Brust genährt. Im Winter 1988 hatte er mit dem jungen Pete Sampras in seinem Haus in Greenwich/Connecticut trainiert, eine „Quälerei bis zur Erschöpfung“ (Sampras), die sich nun auszahlte. „Pete ist ein Riesentalent, man wird noch viel von ihm hören“, lobte jetzt der einstige Lehrmeister, fügte aber hinzu: „Ich hätte trotzdem gewinnen müssen.“

Seine derzeit relativ schwache Form führt Lendl darauf zurück, daß er wegen seiner ebenso extensiven wie vergeblichen Konzentration auf Wimbledon in diesem Jahr zu wenig Matchpraxis gehabt habe. „Ich würde alles wieder so machen, aber ich habe für die Wimbledon-Vorbereitung bezahlt. Es hat mein ganzes Jahr beeinflußt, aber es ist eine Erfahrung.“ Eine Erfahrung mit naheliegenden Konsequenzen: „Im nächsten Jahr wird meine Vorbereitung auf Wimbledon vielleicht kürzer sein.“

Einer war nicht sonderlich unglücklich über Lendls Mißgeschick: John McEnroe. Der stand bei Sampras‘ Matchball gerade im Stau auf dem Freeway 95 North, und begann, als die Sache entschieden war, sogleich vergnügt zu hupen. Später hatte er seine Gefühle besser im Zaum. „Es wäre toll gewesen, noch einmal gegen Ivan hier in New York. Aber es ist anders gekommen.“ Im Gegensatz zu den Zuschauern und den Fernsehanstalten, die bitter enttäuscht sind, daß das mit Spannung erwartete Duell der alten Erzrivalen ins Wasser fällt, ist McEnroe, der sein Viertelfinale gegen David Wheaton (USA) souverän mit 6:1, 6:4, 6:4 gewann, jedoch heilfoh, daß er es im Halbfinale nicht mit dem grimmen Lendl zu tun bekommt, sondern mit dem wesentlich unerfahreneren und mutmaßlich geschwächten Sampras.

„Ich denke nicht daran, daß ich hier gewinnen kann“, dämpfte McEnroe, der seine Fans, darunter Schauspieler Dustin Hoffmann, im Match gegen Wheaton wieder mit seinem „magischen Spielwitz“ ('dpa‘) entzückte, die hochgespannten Erwartungen. Der plötzliche Wiederaufstieg des Amerikaners, der in diesem Jahr auf Platz 20 der Weltrangliste zurückgefallen ist, nachdem er 1989 stets unter den Top Ten gewesen war, scheint sogar ihn selbst zu überraschen. „Vielleicht bin ich noch nicht so weit, wieder ein Grand Slam-Turnier zu gewinnen“, sinnierte er ungewohnt selbstzweiflerisch, um dann sogleich trotzig neuen Lebensmut zu schöpfen: „Vielleicht aber auch doch!“

Matti

Viertelfinale, Männer: Pete Sampras (USA) - Ivan Lendl (CSFR) 6:4, 7:6, 3:6, 4:6, 6:2; John McEnroe (USA) - David Wheaton (USA) 6:1, 6:4, 6:4.

Frauen: Steffi Graf (BRD) - Jana Novotna (CSFR) 6:3, 6:1; Arantxa Sanchez (Spanien) - Zina Garrison (USA) 6:2, 6:2.