EG will Wirtschaftszusammenschlüsse im Golf fördern

■ Entwicklungshilfe für Mittelmeerländer soll aufgestockt werden / Zusammenarbeit mit Maghred Union und Golf-Kooperationsrat soll intensiviert werden

Aus Brüssel Michael Bullard

Sondergipfel, Supergipfel, Nato-Gipfel - nach wochenlangem Tamtam der Kriegstrommeln begibt man sich am Wochenende aufs Parkett der Diplomatie. Zu einer Marathondebatte treffen sich die EG-Wirtschafts- und Finanzminister heute in Rom, um die Konsequenzen der Golfkrise auf den von ihnen abgesteckten Zeitplan für die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) der EG zu erörtern.

Im Zentrum der zweitägigen Diskussion steht dabei die Frage, ob das britische Pfund noch vor dem formellen Startschuß zur von Margret Thatcher bislang abgelehnten WWU Mitte Dezember vollwertiges Mitglied im Europäischen Währungssystem wird oder auch wegen des unverhofft gestiegenen Erdölpreis seine Außenseiterrolle beibehält.

Kopfzerbrechen bereitet den Ministern auch Saddam Husseins Ankündigung, als Reaktion auf das Wirtschaftsembargo den Schuldendienst auf seine Auslandskredite in Höhe von rund 130 Milliarden DM nicht zu bedienen. Schließlich fordern nun die EG-Banken, bei denen der „Dieb von Bagdad“ mit 40 bis 50 Milliarden DM in der Kreide steht, Ausgleichszahlungen.

Zur gleichen Zeit am selben Ort wollen die EG-Außenminister rechtzeitig vor dem Treffen der großen Zwei in Helsinki beraten, wie sie Wüstenkrieger Bush besänftigen können. Dazu ist nicht nur ein Appell an die Regierungschefs der beiden Supermächte geplant, diplomatischen Lösungen den Vorzug zu geben vor militärischen Attacken. Die Außenminister sind auch bereit, für eine friedliche Lösung in die Tasche ihrer Schatzmeister zu greifen. Allerdings nicht, um der Forderung Bush nachzukommen, den Aufmarsch seiner Armee im Golf mitzufinanzieren. Vielmehr sind neben einer Erhöhung der humanitären Hilfe (von bislang rund 11 auf 30 Millionen DM) für die etwa 260.000 Flüchtlinge aus Kuwait kurzfristige Kredite von insgesamt vier bis fünf Milliarden DM an die von dem Embargo gegen Irak am stärksten betroffenen Länder Türkei, Jordanien und Ägypten im Gespräch. Darüberhinaus erhofft sich EG-Kommissionpräsident Jacques Delors von der Golfkrise, daß der Ministerrat seine bisherige Ablehnung gegen eine grundsätzliche Neuorientierung der EG -Nahostpolitik fallen läßt.

Langfristig, so der Euro-Chef, kann die Situation im Nahen Osten nur verbessert werden, wenn sich die EG in den arabischen Ländern wirtschaftlich stärker engagiert. Dies sei jetzt wichtig, weil sich dort vor allem zwei Probleme zeigen: die Erpreßbarkeit des Westens durch die Kontrolle über die Ölquellen und die Bevölkerungsexplosion, die nach Europa überschwappt und dort den sozialen Frieden stört.

Wortstark unterstützt wird Delors bislang hauptsächlich vom italienischen Außenminister Gianni De Michelis, der zur Zeit die Präsidentschaft im EG-Ministerrat inne hat. Seit die italienische Regierung im Frühsommer ins Gerede kam, weil sie Soldaten einsetzte, um den Ansturm illegaler Einwanderer aus Nordafrika abzuwehren, fordert der Sozialist eine „ernsthafte Politik der Zusammenarbeit“ mit der 3. Welt. Ein Prozent des EG-Bruttosozialprodukts (knapp 100 Milliarden DM) soll in Zukunft unter den Entwicklungsländern (50 Prozent), den Reformstaaten Mittelosteuropas (25 Prozent) und den Mittelmeeranrainern (25 Prozent) aufgeteilt werden. Die „Mittelmeer-Dimension“ auch der Sicherheitspolitik, so Michelis, sei durch die Golfkrise verdeutlicht worden. Sie soll nun am Montag auf einer Nato-Außenministertagung in Brüssel und während einer KSZE-Konferenz über „Sicherheit im Mittelmeeraum und in der Golfregion“ am 24. September in Palma di Mallorca erörtert werden.

Wirtschaftlich will die EG-Behörde das Verhältnis zu den Mittelmeerländern - insbesondere Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko, aber auch Syrien, Libanon, Jordanien und Israel - durch Aufstockung des Entwicklungshilfebudgets verbessern. Dazu hatte der zuständige EG-Kommissar Abel Matutes bereits im Mai eine ehrgeizige Initiative gestartet. Im Rahmen eines Fünfjahresplans soll die Entwicklungshilfe für diese acht Länder verdreifacht werden. Die 6,6 Milliarden DM sollen allerdings mit Umwelt-, Menschenrechts- und Demokratieauflagen versehen werden.

Mit 120 Millionen DM will die EG-Kommission zudem über einen Zeitraum von fünf Jahren in den von Israel besetzten Gebieten wirtschaftliche Entwicklung ankurbeln helfen. Den Vorzug will die EG dem forcierten Aufbau regionaler Zusammenschlüsse nach dem Vorbild der EG geben. „Die Gemeinschaft ist bereit, ihre 40-jährige Erfahrung mit regionaler Integration zu teilen“.

Matutes will vor allem die Zusammenarbeit mit der arabischen Maghreb Union und dem Golf-Kooperationsrat intensivieren. Seit Mitte der 70er Jahre gibt es bereits Freihandelsabkommen mit diesen Ländern und 1988 wurde ein weiteres Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet. Allerdings hat sich die EG nie daran gehalten. Vor allem der Export landwirtschaftlicher Produkte in die EG geht deswegen seit einiger Zeit zurück.

Dieser Trend soll durch die „neue Mittelmeerpolitik“ de Michelis aufgehoben werden. Seine Kollegen aus Spanien, Griechenland und Portugal haben allerdings Bedenken. Vor allem ihre Bauern fürchten die billige Konkurrenz jenseits des Mittelmeers.

Erster Testfall für die „neue“ Politik der EG wird nächste Woche der Besuch des israelischen Außenministers in Brüssel werden. Er möchte die letztes Jahr als Reaktion auf Israels Politik in den besetzten Gebieten verhängten Sanktionen (Beendung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit) zurückgenommen haben, weil, so ein Kommissionsmitarbeiter, jetzt schließlich klar sei, auf welcher Seite Israel steht.