Offener Brief

■ An die Initiatorinnen der Frauendemonstration am 29.9.90 in Berlin

DOKUMENTATION

Am Dienstag veröffentlichten wir auf einen Aufruf zu einer Demonstration „Gegen die Einverleibung der DDR - für ein selbstbestimmtes Leben“ eines Ost-West-Frauenbündnisses. Initiatorinnen der Demo sind der Unabhängige Frauenverband der DDR und die bundesweite Koordination der Frauen gegen den Paragraphen 218. Unterstützt wird die Demo unter anderem von diversen Juso-Landesverbänden, den Grünen, der DKP und wohl auch der Linken Liste/PDS. Frauen des Neuen Forums kritisieren den Demonstrationsaufruf:

Wir Frauen aus dem Neuen Forum können den vorliegenden Aufruf nicht mittragen. Auch auf die Gefahr hin, Unverständnis hervorzurufen und uns zwischen alle Stühle zu setzen, bestehen wir auf unserem Anspruch, parteiübergreifend und sachbezogen zu arbeiten, den Dialog mit allen anzustreben, die ebenfalls auf der Suche nach konstruktiven Lösungen sind. Deshalb sind wir prinzipiell bereit, mit jeder Frau zusammenzugehen, die sich beispielsweise gegen den §218 wehren will. Ihre politische Heimat ist dabei uninteressant. Diese Haltung stieß auf vehemente Ablehnung der großen Mehrheit der Frauen in der Vorbereitungsrunde.

Mehrere Passagen im Aufruf laden zwar die Menschen ein, die sich als „Linke“ definieren, aber solche, die sich anders oder gar nicht politisch einordnen, werden ignoriert bzw. abgeschreckt. Einem großen Teil der engagierten Westfrauen scheint es gleichgültig zu sein, ob sie außerhalb ihrer Zusammenhänge verstanden und ihre Forderungen akzeptiert werden - uns nicht.

Uns kommt es darauf an, daß alle, die den §218 ablehnen und auf bestimmten demokratischen und sozialen Rechten bestehen, auch an der Demo teilnehmen können. Zu wichtig ist die Selbstbestimmung der Frauen, um hier ideologische Barrieren aufzurichten. Den Herren Politikern muß klarwerden, wieviele Frauen ihre Bevormundung nicht mehr dulden.

Weitere Einwände: Wir halten es schlicht für hilflos, zu so einem Zeitpunkt noch unter der Überschrift „Gegen die Einverleibung der DDR“ zu protestieren. Der Protest muß sich gegen die Ignoranz den elementarsten Rechten der Betroffenen gegenüber richten. Die sozialen Folgen des hastigen Anschlusses werden allerdings nicht zu Lasten aller Menschen in beiden deutschen Staaten gehen, wie der Aufruf suggeriert. In der DDR ist es die Spezies der Wendehälse, die in allen Parteien ihren Platz gefunden hat (außer in der Grünen Partei der DDR), die verschont bleiben wird. Von daher könnten wir auch nicht akzeptieren, daß als Ursache für das entstehende „Klima der Denkverbote und Anpassung“ die „ausnahmslose Verteufelung der DDR-Vergangenheit“ genannt wird. In dieser Satzkonstruktion hat die notwendige Aufarbeitung unserer Vergangenheit keinen Platz, aber der PDS wird ein Persilschein ausgestellt.

Die im Aufruf erwähnten sozialpolitischen Regelungen wie „Kündigungsschutz und Elternurlaub“ sowie der „Rechtsanspruch auf öffentliche Kinderbetreuung“ haben nicht die Bezeichnung „Errungenschaften“ verdient. Sie wurden gewährt, nicht damit Frauen eigenständig leben können, sondern damit sie als Produktionskraft und Mutter zur Verfügung stehen. Und der erwähnte „Elternurlaub“ war ein Mütterurlaub, nur in begründeten Fällen den Vätern übertragbar. Für die Ausdehnung aller sozialpolitischen Maßnahmen, auch auf die Väter, sind wir eingetreten. Jetzt befinden wir uns in der verfluchten Situation, diese wegen der Festschreibung der Rolle als Mutter und Hausfrau kritisierten Regelungen verteidigen zu müssen. Trotzdem werden wir sie nicht als „Errungenschaften“ in Erinnerung behalten. Weil viele der Forderungen auch unsere sind und wir das grundsätzliche Anliegen teilen, werden wir unserem Selbstverständnis gemäß für diese Demo mobilisieren.

Unterzeichnet ist der Brief u.a. von Katja Havemann und Bärbel Bohley