Entlassen für Daimler-Benz

■ Joint-venture mit Mercedes: In Ludwigsfelde wird ausgekehrt / 3- bis 4000 werden noch gebraucht

Die Presseabteilung des IFA-Nutzkraftwagenwerks Ludwigsfelde „steht den Medien nicht mehr zur Verfügung“. Dem Leiter des jetzt beschäftigungslos gewordenen Pressebüros, Klaus Jorges, ist es sichtlich peinlich, diese Nachricht mitzuteilen. Jorges handelt auf Anweisung von oben. IFA -Generaldirektor Heinzmann hat den Maulkorb verhängt. Mehr als der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von Daimler -Benz, Helmut Werner, auf der Leipziger Messe über die Zukunft des Werkes verkündet hat, „gibt es im Moment nicht zu sagen“, ließ Heinzmann mitteilen. Die Anweisung kam also nicht von „oben“, sondern von ganz oben. Aus Stuttgart.

Die Ludwigsfelder Automobilbauer sind momentan auch ohne weitere Presseberichte einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt. Wird nun die Mehrheit der rund 9.000 Beschäftigten arbeitslos oder nicht?

Noch im März schien die Welt in Ordnung. Damals unterzeichneten Daimler- und IFA-Verantwortliche ein gemeinsames „Memorandum of Understanding“. Mit Champagner und Hummerschwänzen wurde im vornehmen Hotel Kempinski „eine auf Dauer angelegte Gemeinschaftsarbeit“ gefeiert. Der IFA -Lastkraftwagen L60 sollte modernisiert und, mit einem Mercedes-Fahrerhaus versehen, die osteuropäischen Märkte erobern. Als Produktionsstandort war Ludwigsfelde südlich von Berlin ausersehen, die Motoren und Getriebe sollten, zwar verbessert, aber immerhin wie bisher, aus Nordhausen und Brandenburg kommen. Der BGL-Vorsitzende Fred Rummler jubelte damals. „Auf keinen Fall“, meinte er noch im März, „wird es zu Entlassungen kommen. Im Gegenteil, es müssen sogar noch mehr eingestellt werden, damit die beiden Produktionsbänder endlich wirtschaftlich laufen können.“ Vier Monate später brach für Rummler die Welt wie ein Kartenhaus zusammen. Das Hauptwerk des ehemaligen Kombinats, inzwischen aufgeteilt in 24 GmbHs, war an die Grenzen der Illiquidität geraten. Im Juli verkaufte das IFA-Werk gerade noch 72 LKWs.

Der nächste Schlag kam sofort. Der Hoffnungsträger Daimler -Benz fühlte sich an das „Memorandum of Understanding“ nicht mehr gebunden, die Voraussetzungen hatten sich geändert. Entgegen allen Erwartungen klebte an dem zukünftigen Joint -venture-Auto L60 der Makel „made in GDR“. Die Daimler-Benz -Manager entschieden am 18. Juli, der IFA-Lastwagen wird nicht gebaut. In Ludwigsfelde versanken die Automobilbauer in Agonie. Hoffnungslosigkeit und Wut artikulierten sich, plötzlich war der gute Stern Symbol der „brutalen Marktwirtschaft“.

Die Aus-Pläne für den L60 wurden von Helmut Werner auf der Leipziger Messe durch ein Bonbon versüßt. In Ludwigsfelde soll ab Frühjahr 1991 ein bislang in Wörth bei Karlsruhe gebauter Mercedes-Laster montiert werden. Eine Milliarde Mark wird man in das Ludwigsfelder Werk investieren, die Produktionsstätten sollen zu einem der „modernsten und größten“ Montagewerke der Welt ausgebaut werden. Im nächsten Jahr sollen 6.000 Laster montiert werden, Mitte der 90er Jahre gar 40.000. Im Klartext heißt das, Ludwigsfelde wird zur verlängerten Werkbank. Kein Teil wird aus der DDR kommen, die gesamte Zuliefererindustrie mit rund 50.000 Beschäftigten wird im Regen stehen.

Auch ein Großteil der Ludwigsfelder Automobilbauer. Langfristig, hieß es in Leipzig, werde man von den 9.000 Beschäftigten höchstens 3- bis 4.000 brauchen können. Eine Zahl, die Insider noch für zu hoch halten. Im Werk munkelt man, daß mindestens „7.000 über die Klinge springen werden“. 2.600 wissen es schon ganz genau. Ende Juni 1991 läuft der Metalltarifvertrag mit dem befristeten Kündigungsschutz aus, für sie besteht keine Hoffnung auf Weiterbeschäftigung. Die Zukunft der restlichen Beschäftigten steht in den Sternen.

Besiegelt ist inzwischen das Schicksal der ausländischen Arbeiter. Zum 1. Oktober wurden die Arbeitsverträge der 370 Vietnamesen, 250 Mosambikaner und 30 Angolaner vorzeitig gekündigt. Als Entschädigung erhalten sie bis Ende des Jahres 70 Prozent des Nettolohnes, 3.000 Mark Abfindung und den bezahlten Rückflug in die Heimat. Die Ausländer in Ludwigsfelde waren auch die, die als erste im August auf Kurzarbeit gesetzt wurden. Seit dem 1. September nützt allerdings den Ludwigsfeldern auch die DDR -Staatsbürgerschaft nichts mehr. Rund 2.500 Automobilbauer arbeiten kurz, de facto überhaupt nicht mehr. Jeden Monat werden Hunderte dazukommen, denn in Ludwigsfelde läuft von den zwei Produktionsbändern nur noch eines, im Schneckentempo. Es wird aufgeräumt im IFA-Werk, die Anlagen besenrein für die Produktionstechniker des Daimler-Werkes vorbereitet. Die Betriebseinrichtungen der einzelnen Werkstätten, Presserei, Schmiede etc., sollen einzeln verkauft werden. Ein Stück DDR-Automobilgeschichte geht zu Ende.

Anita Kugler