Özals berechnender Gehorsam

■ Türkische Regierung erhält Vollmacht, Militär zu entsenden oder ins Land zu holen

Aus Istanbul Ömer Erzeren

Die türkische Regierung kann nach eigenem Ermessen Militär in die Krisenregion am Golf senden und kann - ohne parlamentarischen Beschluß - ausländische Truppen in der Türkei stationieren. In einer geheimen Sitzung beschloß das türkische Parlament diese Rechte, die laut türkischer Verfassung beim Parlament liegen, der Regierung zu übertragen. 246 Abgeordnete des 450 Mitglieder zählenden türkischen Parlaments votierten für die Vorlage, die Oppositionsparteien stimmten dagegen. Damit kann die Türkei Truppen nach Saudi-Arabien entsenden, Kriegsschiffe in den Golf schicken und - außerhalb von vertraglich geregelten Nato-Bindungen - US-Soldaten im Südosten der Türkei stationieren. Der Parlamentsbeschluß ist ein Sieg des türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal, der sich seit Beginn der Golfkrise bedingungslos den Erwartungen der USA gefügt hat. Özal, der am 24. September zu einem Gespräch mit US-Präsident Bush in Washington erwartet wird, wird somit die „Kriegsvollmacht“ in seiner Tasche haben. Laut der türkischen Zeitung 'Milliyet‘ liefen bereits zwei türkische Kriegsschiffe Richtung Golf aus. Der türkische Generalstab dementierte indes, daß sich die Kriegsschiffe an der multinationalen Flotte beteiligen werden. Noch am 12. August hatte es das türkische Parlament abgelehnt, der Regierung eine uneingeschränkte Vollmacht für militärische Einsätze zu erteilen. Nur „im Falle einer plötzlichen Agression“ wurde der Regierung die Erlaubnis erteilt, militärisch zu intervenieren. Der türkische Ministerpräsident Yildirim Akbulut sowie zahlreiche Minister plädierten für ein „vorsichtiges“ Zusammengehen mit dem Westen. Letztendlich hat sich jedoch der starke Mann im Präsidentenpalais, Staatspräsident Turgut Özal, in der Abstimmung Montag abend durchgesetzt.

Abgeordnete berichteten gegenüber der taz, daß die Geheimsitzung von Tumulten begleitet wurde. Bereits im Vorfeld insistierten die Oppositionsparteien darauf, daß eine Übertragung solch gravierender Vollmachten an die Exekutive illegal sei. „Dieser Beschluß wird vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden, und sie werden vor dem Hohen Gericht Rechenschaft ablegen müssen“, rief der unabhängige Abgeordnete Kemal Anadol im Plenarsaal aus. Die „Sozialdemokratische Volkspartei hat bereits eine Verfassungsklage angekündigt.

Der Falke Özal verspricht sich von der Entscheidung, daß durch die Haltung der Türkei im Golfkonflikt neue Kreditzusagen an die Türkei gemacht werden und der Eintritt in die EG ermöglicht wird. Im Falle einer militärischen Intervention gegen den Irak will die Türkei an der Beute beteiligt werden. Im Umfeld der reichen Erdölfelder in Kerkuk und Mossul im Nordirak leben rund eine Million Auslandstürken. Die Türkei könnte Ansprüche auf dieses Gebiet geltend machen.

Der Vorsitzende der „Partei des rechten Weges“, der konservative Oppositionsführer Süleyman Demirel, bezeichnete den Kriegskurs Özals als ein „verräterisches Drehbuch“: „Sie sagen, daß wir Vorteile aus einem Krieg ziehen werden. Demjenigen, der meint für Kredite und Geld das Blut unserer Kinder vergießen zu müssen, soll es im Hals stecken bleiben. Wie soll eine Wirtschaft aussehen, die auf Blut beruht.“ Der Vorsitzende der „Sozialdemokratischen Volkspartei, Erdal Inönü, warf Özal vor, „Poker mit Menschenleben zu spielen“. In der Türkei herrscht in breiten Teilen der Bevölkerung eine Antikriegsstimmung. Verärgert war Staatspräsident Özal, als nach der Parlamentsentscheidung bei einer Beschneidungszeremonie das Orchester das traditionelle Jemen -Lied anstimmte. „Jemen heißt das Land. Seine Rosen sind wie Kreuzkümmel. Warum kehrt niemand zurück, der dorthin gegangen ist.“ Zehntausende türkische Soldaten sind im ersten Weltkrieg in der arabischen Wüste gefallen.