Sündenbock verweigert sich

■ Kreisgericht Dresden zwang Treuhandgesellschaft und Stadtregierung zur Zurücknahme der Versteigerung des ehemaligen Einzelhandels der Elbmetropole

Aus Dresden Detlef Krell

Erst eine Verfügung des Kreisgerichts Dresden konnte die Treuhandgesellschaft und Stadtregierung zwingen, die Versteigerung des ehemals Dresdner Einzelhandels zu beenden und die Ausschreibung der Verkaufsstellen zurückzunehmen. Die Geschäftsleitung der HOMA-Industriewaren GmbH und des HO -Partners Spar hatten gegen die Treuhandgesellschaft geklagt, nachdem durch diese mit der Kommune alle Einzelhandelsobjekte rechtswidrig ausgeschrieben worden waren.

Das Gericht bestätigte mit seiner Entscheidung auch die Rechtsauffasung der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, wonach die Entflechtung des volkseigenen Einzelhandels entsprechend der durch gewerkschaftliche Kämpfe erzwungene Ministerratsverordnung zu erfolgen habe. HBV-Sekretär Anton Kobel nannte das Gerichtsurteil eine schallende Ohrfeige für die verantwortlichen Politiker und Beamten.

Die HBV fordert den Rücktritt der für die Versteigerung Verantwortlichen. Im Bezirk Dresden hatten sich die Auseinandersetzungen seit dem republikweiten Streik Mitte Juli zugespitzt. Mit einem Warnstreik hatten am 28. August die HBV-Gewerkschafter und die Beschäftigten der HOMA -Industriewaren GmbH und der HOMA-Warenhandelsgesellschaft GmbH auf die fortgesetzte Ausschreibung der ehemaligen HO -Geschäfte und damit Tausender Arbeitsplätze reagiert. So war vor der öffentlichen Ausschreibung weder die Gewerkschaft noch Kooperationspartner angehört worden, auch existierte kein regionales Versorgungskonzept. Belegschaften und Unternehmensleitungen stellten bei ihren Warnstreiks die Frage, ob nicht schon längst Tatsachen geschaffen und die Felle verteilt worden waren.

Wenn auch Treuhand-Chef Schubert und Oberbürgermeister Wagner den protestierenden VerkäuferInnen versicherten, daß bei der Ausschreibung der Verkaufsstellen für Erhaltung der Arbeitsplätze und die örtliche Versorgungskonzeption die Priorität vor dem angebotenen Geld hätten, konnten sie doch nicht die Frage beantworten, wie sich dieses Statement mit der praktizierten Versteigerung vereinbare. Die Vertragspartner des Dresdner Einzelhandels hatten sich angesichts derart unsicherer Verhältnisse schon immer aus dem Geschäft zurückgezogen. Das freut die DresdnerInnen, und sie laden ihre Freude wie gehabt an den Kassen bei den VerkäuferInnen ab.

Ihre Sündenbockrolle sind die HändlerInnen inzwischen aber restlos leid. Erst recht nicht wollen sie die für die erste frei gewählte Volksvertretung spielen. Weder Belegschaft und Gewerkschaft noch Unternehmensleitung lassen einen Zweifel daran, daß sie eine Entflechtung des Handels wünschen.

Doch schon am Begriff „Entmonopolisierung“ scheiden sich die Geister zwischen Handel und Treuhand, war doch der Marktanteil der HO bereits vor Eintritt in die Währungsunion auf etwa 30 Prozent gesunken. Ein Vorkaufsrecht für HandelsmitarbeiterInnen wurde in dem Dresdner Ausschreibungsverfahren immerhin erwähnt, aber die Gewerbegenehmigung und die Mietverträge für die Läden setzten unüberwindbare Hürden der bürokratischen Praxis. „Unter 150.000 bis 200.000 DM brauchen sie sich erst gar nicht zu bewerben“, wurde einem interessierten Verkaufsstellenleiter im Rathaus beschieden.

Die Gerichtsentscheidungen hatten auch auf dem CDU -Landesparteitag Sachsen für Aufregung gesorgt. Von Blockierern war die Rede, die den Volkskammerbeschluß zur Entflechtung des Handels boykottieren. Das Gericht habe ein politisches Urteil gefällt. Gegen die Durchführungsverordnung hat die CDU in der Volkskammer Verfassungsbeschwerde erhoben. Besonders die Gewerkschaften bekamen von den Christdemokraten ihr Fett. Die DDR dürfe nicht „Spielwiese westdeutscher Gewerkschaftsagitatoren werden, weil die sich nicht an die Gesetze halten“.