Im Lastenausgleich

Es ist vielleicht nur der Ausdruck jenes Inselkollers, was sich jetzt in einen handfesten Wahn verkehrt: Alles und jedes, Kapellmeistereinstand und Schuleinweihung, Laubenpieperfest und Lagerfeld-Kollektion, kein noch so stadtstattliches Ereignis lokalster Dimension kommt um die weltgeschichtliche Alumarke herum. Am Halsband hängen vierzig Jahre Teilungsschmerz und die schon kanonisierten Jubelschwallworte mit den entsprechenden Leerstellen für Name, Anlaß und Nation, je nach Verständigungspriorität geschüttelt.

Während also ein japanisches Privatfernsehen sich anschickt, dem armen glücklichen Berlin Bäume für den Todesstreifen zu stiften, übernimmt glücklichster Bürgermeister Momper die Aufgabe, den Moses-Mendelssohn -Preis an seinen Jerusalemer Kollegen Teddy Kollek zu verleihen. Nicht daß es nicht sinnvoll wäre, im Ostteil der Stadt jemanden zu würdigen, der sich für Toleranz und gleichberechtigtes Zusammenleben von jüdischen und arabischen Einwohnern einsetzt, oder nicht dringend angebracht, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit ebenda zu verurteilen. Aber wird nicht am auratischen Ort der Anlaß zur Illustration deutschmächtiger Volksläuterung benutzt, wenn Momper Kolleks Amtszeit als „beispielhaft zum gegenseitigen Verständnis der Religions- und Volksgruppen der Stadt“ (welcher) zitiert, in bewährt-routiniertem Vokabular? (Und wer kann es ihm verdenken, bei seinen Terminen?) Aber tauschen wir nur mal eben Religions- und Volksgruppen mit Mitbürgern in Ost und West oder vielleicht auch mit ausländischen Mitbürger, und es hätte fürs Crellefest oder den Köpenicker Herbstmarkt gepaßt. So hat Teddy Kollek nicht unrecht, wenn er feststellt, die Teilung werde noch über Jahre wirken (welche und wo?). Er hoffe aber auf „eine bessere Zukunft für Jerusalem und Berlin“, und das bessere schließt damit die Provinzmetropole mit dem Minderwertigkeitskomplex an alle Probleme des Nahen Ostens an.

Derweil kämpft auch Anke Martiny mit den Größenordnungen. Prahlte sie doch zwischen Kulturamtsleitern und Kulturdezernenten zahlreicher Städte aus beiden Teilen Deutschlands, Berlins Theatersaison werde zukünftig ein kulturelles Angebot machen, „das in Europa seinesgleichen sucht“, und „die mauerlose Metropole“ werde „die größte Stadt des ungeteilten Europas sein“. Schön und gut, nur, was will sie damit sagen? Daß sie viel Geld braucht, daß sie es sehr schwer hat, daß es aber trotzdem unheimlich abgeht, naturwüchsig toll wie im Freizeitferienpark? Nein, sie dementiert Großmachtgelüste, um welche zu wecken: „Es wird auch keinesfalls das Bestreben Berlins sein, die kulturelle Eigenständigkeit der anderen großen deutschen Städte anzutasten, ob sie nun Hamburg, Dresden, Frankfurt, Leipzig, München, Rostock, Stuttgart oder Halle heißen.“ Seid froh, ihr trüben Städte Restdeutschlands!