Männer auf verlorenem Posten

„American Diner“ von Barry Levinson  ■ 

„Girls, girls, girls.„

(Sailor

„Oh Baltimore, man it's har

just to live.“ (Randy Newman

Sechs Filme hat Barry Levinson bislang gedreht: Der Unbeugsame 1983 (Junge vom Land wird Footballstar), Das Geheimnis des verborgenen Tempels 1985 (Sherlock-Holmes -Gruselfilm für Kinder), Tin Men 1986 (die wunderbare Welt der Aluminiumfassadenvertreter), Good Morning, Vietnam 1987 (Radio, Krieg und Hits vom Plattenteller) und schließlich den Publikumsrenner und letztjährigen Berlinale -Gewinner Rain Man (herziger Autist vor der Kamera). Ausgerechnet mit diesem rührend-heiter, aber irgendwie doch auch traurig-nachdenklichen Verständigungsfilm mit den vielen Heulszenen ('Tip'-Bewertungsstelle: „sehenswert!“), die ihrerseits beim Publikum noch mehr Gegentränen hervorriefen, wird nun für Levinsons Debütfilm American Diner geworben, der erstmals in den deutschen Kinos läuft, nachdem er vor einiger Zeit schon mal im Fernsehen zu sehen war.

Auf den Werbeplakaten steht also: American Diner von Barry Levinson (Rain Man). Dabei hat American Diner rein gar nichts mit Rain Man zu tun. Es sei denn, man wäre einer der Absolventen des Filmkritik-Aufbaukurses „Einfühlsame Beobachtungen, und wie schreibe ich sie auf“ und könnte von daher Sätze formen wie: „Levinson hat viel Verständnis für seine Figuren“ oder „Levinsons Filme sollte man besuchen wie einen guten Freund“ oder irgendeine Gespreiztheit dieser Preisklasse. Abgesehen von diesen durchaus vorhandenen und angewandten Filmbesprechungsmustern hat American Diner tätsächlich keine Ähnlichkeit mit Rain Man. American Diner ist vielmehr und erfreulicherweise ganz im Geiste von Tin Man gehalten, neben American Diner Levinsons bester Film.

Ebenso wie Tin Man spielt American Diner Ende der Fünfziger in Baltimore, und es geht hier wie da um eine Männerfreundschaftsgruppe, deren Treffpunkt ein Schnellrestaurant ist, in dem man sich ausgiebig unterhält. Das klingt ansatzweise verdächtig nach der amerikanischen Antwort auf Eric Rohmer (reden, reden, reden). Aber im Gegensatz zu Rohmer-Filmen konversieren sie nicht in aller Gepflogenheit über Liebe, Schubert, Philosophie und andere Betulichkeiten, sondern sie quatschen über Knutschmusik, Football, Fernsehsendungen oder Wetten. Man redet über Dinge, für die der europäische (speziell französische) Gesprächsfilm nur ein leichtes Naserümpfen übrig hat, die aber in einem Riesenkaff wie Baltimore zu den existentiell grundlegenden Lebensbedingungen gehören und von denen man aufgrund der allumfassenden Öde tendenziell besessen ist.

Shrevie kann zu allen Single-A-Seiten den Titel der B-Seite nennen. Boogie schließt permanent Wetten ab, um alte Wettschulden zu begleichen. Fenwick ist unschlagbar bei Fernsehquizfragen. Und für Eddie ist Football gleichbedeutend mit erfülltem Leben. Darum muß Eddies Verlobte in einer Prüfung mindestens 65 von 140 Fragen zum Themenkomplex Football richtig beantworten, bevor er sich in der Lage sieht, sie zu heiraten. Schafft die Verlobte nur 64 richtige Antworten, fällt die Hochzeit ins Wasser. In einem Nest von universeller Gültigkeit wie Baltimore, in dem man freiwillig noch nicht einmal tot überm Gartenzaun hängen möchte, zeugen diese erstaunlichen Leidenschaften von bewunderswerter Sturheit und stiller Größe.

Meistens geht es um fünf junge Männer - keine Teenager mehr, aber noch nicht vollwertig erwachsen, sondern genau das Alter dazwischen. Männer auf verlorenem Posten. Vor ihnen liegen Ehe, Beruf, Eigenheim, Kinder und Steuererklärungen. Unausweichlich greift das geregelte Leben nach ihnen, während sie sich hoffnungslos an ihren alten Zufluchtsort klammern. Das Schnellrestaurant „Diner“ werden sie bis zum Schluß besetzt halten und verteidigen. Obwohl sie in einer mittelgroßen amerikanischen Stadt des Jahres 1959 leben, hat Levinson angenehmerweise keinen Rock'n'Roll -Schmalztolle-Petticoat-Jugendrevolte-Film gedreht. Irgendwann mal fällt der Name Presley, aber das hat kaum eine Bedeutung. Der Mittelpunkt des Lebens ist nicht der Rock'n'Roll, sondern das „Diner“, in dem morgens um 4 Uhr neonlichtbeschienene kotzbleiche Gesichter noch eine letzte Runde Pommes bestellen.

Zugegeben, American Diner ist ein Männerfilm. Mädchen/Frauen tauchen nur peripher auf, Mütter bestenfalls zum Brotschmieren. Dafür sind sie ewiges Gesprächsthema oder Gegenstand einer Wette. Am Ende feiert einer der fünf Freunde Hochzeit. Die Braut bekommt man konsequenterweise bis zum Schluß nicht zu Gesicht. Leibliche Ehefrauen gehören einer merkwürdigen, fremden Welt an und sind letztlich unwichtig. Wichtig ist nur das „Diner“ und die endlose Redeschleife, die um das andere Geschlecht kreist. Das Schnellrestaurant wird zum geschützten Ort für intensive Männergruppen-Gesprächstherapie ohne Aussicht auf Heilung. Der Weg/das Plappern ist das Ziel.

Dralle

American Diner von Barry Levinson. Mit Micky Rourke, Steve Guttenberg, Ellen Barkin. Im Filmkunst 66 und im Studio (OmU).