Es wird weitergespielt

■ Neue Runde im Zweikampf Anke Martiny-Freie Volksbühne

Es war ja eigenartig still geworden in der letzten Zeit um die Freie Volksbühne, um die herum sonst in jeder Saison doch zumindest ein Skandal inszeniert wird. Wer erinnert sich nicht an den formidablen ersten Durchlauf in diesem Jahr, der zwei Formel-Hochkultur-Boliden am Start sah, die Senatsverwaltung mit Anke Martiny am Steuer und als Gegner im Berliner Zirkus den damaligen Intendanten der Freien Volksbühne (FVB), Hans Neuenfels. Trotz einiger Blessuren ging damals die Senatorin Martiny als Siegerin aus dem Rennen.

Danach schien dann erst mal Ruhe eingekehrt zu sein in die FVB. Es gab zwar ein großes Finanzloch, das dann vom Senat gestopft wurde, und auch das Gebäude war von einer Brüchigkeit, die eine Renovierung nötig machte. Doch wurde mit Hermann Treusch, von dem nicht nur Gremium und Betriebsrat der FVB sagten, er könne eine „wirtschaftlich solide Führung gewährleisten“ und „einen attraktiven Spielplan gestalten“, ein neuer Intendant gefunden. Dessen Vertrag wurde bis 1992 terminiert und die Renovierung des Gebäudes anvisiert auf die Zeit nach dem Ablaufen des Vertrages des neuen Intendanten. Jedenfalls, so Hermann Treusch auf der gestrigen Pressekonferenz, habe man ihm vom Kultursenat aus erkennen lassen, daß im Haushaltsjahr 1991 darüber nachgedacht würde, was im Haushaltsjahr 1992 an Geldmitteln für die Renovierung einzuplanen sei. Wie es danach weitergehen würde, schien allerdings niemand so recht zu wissen.

Für die neue Spielzeit ließ man bei der FVB gegen alle Widrigkeiten ein Plakat drucken, auf dem es trotzig heißt: „Wir spielen weiter“. Es scheint auch angebracht, dies mitzuteilen, denn in diesem Jahr lag die Besucherzahl bei Eigeninszenierungen durchschnittlich bei 339 Besuchern, etwas wenig für ein 1.017 Plätze umfassendes Theater. Dieses Ergebnis allerdings wird von der FVB mit dem negativen Image des Theaters erklärt, das unabhängig von der Qualität der Stücke die Zuschauer abschrecke - eine Art Fluch des Hauses Neuen fels - und damit, daß man sich nach all den Krisen erst habe konsolidieren müssen, um eine Perspektive aufzubauen, in der allein Theatermachen möglich sei. Dies schien ja auch durch die Zwischenlösung mit dem Intendanten Treusch und damit einer Perspektive bis zumindest 1992 gewährleistet gewesen zu sein.

Neu in den Zweikampf Martiny FVB hineingekommen ist jetzt die andere Freie Volksbühne im Stammhaus am Rosa-Luxemburg-Platz in Ost-Berlin. Dort gab es nach der Wende einige Turbulenzen, der Posten einer Intendanz ist dort zur Zeit noch vakant, auf alle Fälle wollte man aber als Sprechtheater weitermachen. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden FVBs liegt nicht nur im Namen, sondern auch darin, daß das Gebäude in Ost-Berlin ebenfalls marode ist - eine Renovierung wird auf 140 Millionen Mark geschätzt - und daß beide Bühnen ein ähnliches Genre bedienen.

Soweit der Stand bis zum 30. August dieses Jahres. Die Entwicklungen an den beiden Bühnen schienen sich langsam voranzuschieben, eher unbemerkt im stillen und deshalb gut fürs Programm. Aber man hatte nicht mit Anke Martiny gerechnet. Denn just an diesem Tag legte sie nicht nur der Kulturstadträtin, Dr. Irana Rusta, und dem Kulturminister der DDR, Herbert Schirmer, ein Positionspapier vor, sondern auch der überraschten Öffentlichkeit. Das Positionspapier war in der kalten Küche der Senatsverwaltung ausbaldowert worden, Absprachen - etwa mit den betroffenen Institutionen

-gab es nicht.

Das Papier von Senatorin Martiny versuchte dabei gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, ungefähr nach folgendem Rezept: Wenn es zwei FVBs mit ähnlichem Genre gibt, warum machen wir daraus nicht eine - mit gleichem technischen Personal, einem Intendanten und einem künstlerischen Leiter. Und die lassen wir dann auf der einen Bühne, der im Westen, Sprechtheater machen und auf der anderen Bühne, der im Osten, gibt es „das große Tanztheater“, welches in Berlin „eindeutig“ fehle. Bestückt werden könnte dieses wiederum mit freien Kapazitäten aus den in der Stadt vorhandenen Ballettkompagnien. Ein Orchester braucht es natürlich auch, aber dafür „bieten sich Möglichkeiten aus der Fülle der in Berlin künftig vohandenen Orchester geradezu an“ - was auf eine Freisetzung von jetzt engagierten Orchestern in der Zukunft schließen läßt. Und einen künstlerischen Leiter hatte Frau Martiny auch schon: Wolfgang Engel aus Dresden, der allerdings schon in Frankfurt ein Engagement haben soll.

Soweit das Positionspapier von Frau Senatorin Martiny, die es tatsächlich erst mal nur als Positionspapier geschrieben haben will, denn am Ende steht: „Die interessierte Öffentlichkeit ist nun aufgerufen, diese oder andere Lösungen zu diskutieren.“ Dabei hat sie vergessen, daß man solche Umbruchpläne in der wilden Welt der Realpolitik entweder putschartig durchsetzt oder es aber ganz sein läßt und mit den Betroffenen zusammen versucht, ein Konzept zu entwickeln, das dann auch trägt, wenn es veröffentlicht wird.

In diese Kerbe schlug auch gleich der kulturpolitische Sprecher der CDU, Dr. Uwe Lehmann-Brauns: „Die CDU-Fraktion fordert die Senatsverwaltung auf, wenige Wochen vor der Vereinigung der Stadt endlich vorlagefähige, abgestimmte und realistische Pläne - statt Briefe - öffentlich zu machen.“ Gut gegeben, und auch der Begriff „Sandwich-Methode“ für die „Eine-Klappe-viele-Fliegen-Methode“ ist nicht von schlechten Eltern.

Was aber sagen die Betroffenen dazu? Das Ensemble der FVB Ost weist sechs Tage nach Veröffentlichung des Positionspapieres die Einmischung der Westberliner Kultursenatorin in ihr Haus zurück. Martinys Vorschlag wird als „Ergebnis technokratischen Verwaltungsdenkens“ gewertet, das keine Ahnung von Tradition, Architektur und Verpflichtung der FVB Ost habe. Man verwies zudem auf früher schon gescheiterte Vereinigungsversuche dieses Theaters mit anderen Theatern, und zwar noch zu Zeiten des real existierenden Sozialismus: Die seien immer gescheitert und hätten zu tiefen Krisen geführt. Außerdem sei diese Bühne eine mit europäischer Qualität, habe einen festen Zuschauerstamm „bei einer vergleichsweise minimalen Subvention von jährlich 6,5 Millionen Mark“.

Gestern nun fand die Pressekonferenz von Hermann Treusch statt, der zu den Vorhaben der Senatsverwaltung Stellung bezog. Für ihn muß dieses Positionspapier ein Schlag ins Gesicht gewesen sein, wurde er, der gerade zum neuen Intendanten der FVB West gewählt wurde, doch mit keinem Wort erwähnt und von vorneherein aus dem Spiel geworfen. Das sei, so sagte er, auch ein Grund gewesen, weshalb er an Rücktritt gedacht hätte, denn es war abgesprochen, daß, wenn man über eine zukünftige künstlerische Leitung spräche, er auch vorher konsultiert würde. Das sei nicht geschehen, und damit hätte die Kultursenatorin ihm öffentlich das Mißtrauen ausgesprochen und die FVB erneut in die Negativschlagzeilen gebracht. Doch er wird nicht zurücktreten, denn er denke, daß Berlin engagierte Theaterleute brauche, und außerdem wolle er für die Eigenständigkeit der FVB West kämpfen: „Wenn der Kultursenat wieder ein eigenes Gesicht hat oder eines zeigt, dann werden wir ihm offen in die Augen blicken.“

Er kritisierte an dem Positionspapier, daß dort ein großes Theater einfach wegrationalisiert werden würde, daß eine Zusammenlegung der beiden Häuser zu einer Überorganisation und damit zu einem bürokratischen Wasserkopf führe und daß die Idee des Tanztheaters kaum ausgereift sei. Zum Beispiel sei die Architektur der FVB Ost, in der das Tanztheater Quartier beziehen soll, so, daß man ab der sechsten Reihe die Darsteller nur noch von den Waden aufwärts sehen könne, was nicht gerade überzeugend ist für ein Tanztheater.

Soweit der Stand der Auseinandersetzung. Jederzeit kann es weitergehen, und langsam geht es auf die Steilkurve zu. Frau Martiny wird nicht untätig bleiben, zum Beispiel fordert sie gerade einen bundesweit erhobenen Kulturgroschen, um die Kommunen der DDR zu unterstützen. Besondere Zeiten erfordern besondere Ideen, und für die sind wir alle offen.

Volker Heise