„Wir zielen nicht auf rot-schwarze Koalition“

■ Interview mit Volker Hassemer, stellvertretender Landesvorsitzender der Westberliner CDU, über den anstehenden Wahlkampf, die Entwicklungsmöglichkeiten einer vereinigten Ost- und West-CDU und die rot-grüne Koalition

taz: Herr Hassemer, wenn man so die letzten Wochen verfolgt hat, dann bekommt man den Eindruck, die CDU marschiere auf eine große Koalition mit der SPD zu. Das zeigt sich zum Beispiel in ihrer Kompromißbereitschaft im Rahmen der Verfassungsdebatte. Ist die große Koalition oberstes Ziel der Partei?

Volker Hassemer: Nein. Ich glaube, die Kompromisse der SPD und der AL waren mindestens so groß wie die der CDU. Das lag daran, daß alle drei Fraktionen diese Verfassung haben wollten. Wir zielen nicht - auch im Wahlkampf nicht - auf eine schwarz-rote Koalition. Wir zielen darauf, bei dieser Wahl möglichst stark zu werden. Wir kämpfen dabei gegen Rot-Grün, die ganz offensichtlich ihre Koalition fortsetzen wollen - die Leidensfähigkeit beider Fraktionen scheint unbegrenzt. Ich bin mir aber sicher, daß diese Koalition die fünf Jahre auf keinen Fall überstehen würde. Aber anfangen, wenn sie die Mehrheit dazu haben, werden sie auf jeden Fall.

Aber nun hat ja die CDU Verfassungsänderungen akzeptiert, die nur der AL und ihren Bündnispartnern in Ost-Berlin zugute kommen. Stichwort Listenverbindungen.

Ich halte es für ein Gebot der demokratischen Fairneß, daß diese Gruppen, die sehr wirksam waren am 9. November und davor, eine Chance haben sollten, in diesem ersten Parlament vertreten zu sein. Daß AL und SPD die Bedeutung der im Westen erarbeiteten Verfassung gegenüber der in Ost-Berlin erarbeiteten akzeptiert haben, das war unser Ziel. Überrascht hat es mich aber auch.

„Große Koalitionen

sind atypisch“ Die CDU in Ost-Berlin ist ja bereits in einer großen Koalition und vertritt dort zum Teil sozialdemokratische Positionen, zum Beispiel die Fristenlösung. Wird denn nicht mit der Vereinigung der beiden Berliner CDU-Verbände die Bereitschaft innerhalb der Partei zu einer große Koalition wachsen?

Nach den Erfahrungen, die die CDU mit den etwas chaotischen Kollegen von der SPD nun auch macht, bin ich mir nicht sicher, ob ihre Lust wächst, weiter zusammenzuarbeiten. Wunschziel ist es bei keinem. Große Koalitionen sind atypisch.

Welche Koalition wäre denn Ihr Wunschziel?

Eine Koalition, die zugleich eine starke Opposition hat. Die könnte mit der FDP sein. In Berlin werden die Karten ganz neu gemischt, und da muß man sehen, wie das in Zukunft aussehen wird. Deshalb haben wir auch allen Anlaß - anders als die SPD, die mit der AL antritt - zu sagen, die Entscheidung für die CDU ist eine Entscheidung für die Arbeitsplatzpolitik, für die Strukturpolitik, für die Umweltpolitik, für die Stadtplanungspolitik, die die CDU anzubieten hat. Wir werden ein klareres Profil haben als die SPD oder die AL.

„Kein Zweifel, daß Diepgen gewählt würde“ Auf jeden Fall wird ja die Vereinigung die CDU verändern, die Fraktionierungen innerhalb der Partei werden sich verschieben. Ich stelle mal die These auf, daß es dem sozialpolitischen Flügel oder dem Reformflügel der CDU, dem Sie auch angehören, nützen wird.

Das glaube ich auch. Die CDU wird nicht nur protestantischer und östlicher werden, sondern soziale und ökologische Themen werden in Zukunft größeres Gewicht haben. Ich hoffe auch auf einen derartigen Trend. Wir werden uns in diesem Wahlkampf sehr wohl mit diesen Nuancen vorstellen können und werden auf dieser Seite eine größere Kompetenz und eine größere Stärke haben.

Stellt sich Eberhard Diepgen auf dem Vereinigungsparteitag nicht zur Wahl, weil er fürchtet, deshalb abgewählt zu werden? Er bleibt ja automatisch Landesvorsitzender.

Es kann für mich keinen Zweifel geben, daß Diepgen gewählt würde.

Bei der FDP hat es ja auch eine Überraschung gegeben ...

Da gibt es ja nun wirklich stadtbekannte Unterschiede zwischen der FDP und der CDU. Die FDP ist für diese Überraschungen schon immer gut gewesen. Man sollte damit nicht ohne weiteres spielen. Nein, ich glaube, mit dem Dazukommen der Kollegen aus dem Ostteil der Stadt wäre die Mehrheit für Diepgen eher größer als kleiner.

Sie sagten, die CDU könne im Wahlkampf ein klares Profil vorweisen. Als Oppositionspartei ist sie aber kaum in Erscheinung getreten, zum Teil deswegen, weil die Koalition die Oppositionsrolle oft selbst übernommen hat. Wie wollen Sie garantieren, daß die CDU nun wieder auf die politische Bühne tritt?

Zunächst ist es richtig, daß wir es in der Opposition nicht leicht hatten, weil wir die Opposition waren, die nicht in der Regierung saß. Im Wahlkampf sieht es deswegen anders aus, weil nicht mehr gefragt wird, wer handelt und wer opponiert. Jetzt gilt es im Hinblick auf die nächsten fünf Jahre, die Fragen zu beantworten, wer in Berlin die bessere Regierung ist und wem man zutraut, daß Zukunftspolitik gemacht wird. In der jetzigen Senatskoalition fehlen Zukunftslinien für Stadtplanung, für Wirtschaftsentwicklung vollkommen. In diesen Bereichen wurden allenfalls die Probleme besprochen, auf die man momentan stößt. Da haben wir eine bessere Chance, Aufmerksamkeit zu erregen, als wir es in dieser ungewöhnlichen mehrfachen Oppositionssituation der Vergangenheit hatten.

„Selbst der komischste Knies, den ein kleiner AL -Abgeordneter betreibt, ist öffentlichkeitswirksamer als das Klügste, was ein Oppositionsführer vorzubringen hat“ Zu so einem Wahlkampf gehört ja auch ein kämpfender Spitzenkandidat. Man hat oft den Eindruck, als ob Sie sich in der Rolle des aggressiven Oppositionspolitikers besser machen als Ihr Vorsitzender Herr Diepgen. Ist Herr Diepgen der richtige Spitzenkandidat?

Ich glaube wirklich, daß er der richtige ist. Da spielt rein, was ich schon sagte. Selbst der komischste Knies, den ein kleiner AL-Abgeordneter innerhalb der Senatskoalitionspolitik betreibt, ist öffentlichkeitswirksamer als das Klügste, was ein Oppositionsführer vorzubringen hat. Und wenn man der Koalition ein positives Zeugnis ausstellen will, dann sollte man es für ihren ganz ungewöhnlichen Unterhaltungswert in der Beschäftigung miteinander ausstellen. Einer der positiven parteipolitischen Effekte ist, daß die Dinge, die wir und Herr Diepgen beizutragen hatten, im Getöse der lustigen Koalitionsschlammschlacht untergingen. Man sollte davon nicht die Fähigkeit der CDU im Wahlkampf ableiten.

Diepgen taucht aber, wie Momper 1988, mit seinem Konterfei im Wahlkampf nun gar nicht mehr auf.

Einer der Fehler 1988 war, daß wir zu stark personenbezogenen Wahlkampf gemacht haben.

Die Versuche der CDU, wieder bemerkt zu werden, muten ja fast etwas verzweifelt an, wenn man sich z.B. die manchmal militante Rhetorik in der Ausländerpolitik anhört.

Das ist teilweise natürlich eine Antwort auf die Nullpolitik des Senats in diesem Punkt. Die Politik, mit Ausländern einfach so umzugehen, daß man sie hereinläßt und daß man das aufmerksam beobachtet, provoziert nicht nur Protest bei der Opposition, sondern auch bei den Menschen und, was besonders schlimm ist, wachsende Militanz bei den Menschen in der Stadt. Wer dem tatenlos zusieht, verletzt nicht nur die Interessen der Ausländer, sondern auch derjenigen, die eher zu Aggressionen neigen. Und daß sich dann die Opposition äußert, ist kaum verwunderlich.

Interview: Claus-Christian Malzahn/Hans-Martin Tillac