„Das Scheitern ist Ausdruck meiner Kunst“

■ Interview mit Günther Uecker

taz: Am 2.September wurde Ihre erste Einzelausstellung in der DDR eröffnet. Wie kam sie zustande?

Günther Uecker: Nachdem ich am 9.November in Leipzig war und diese Umstände miterlebte, die dazu führten, daß die Mauer nicht mehr besteht, hat es mir auch den Gedanken aus dem Kopf ausgelöscht, mit dem Lybke eine Ausstellung zu machen. Ich sah ihn ja 1986 schon in Berlin zur Austellung „Position“. Die Ereignisse hier in Leipzig veränderten das europäische Bild so radikal, daß man die alten Interessen nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Das war der Hauptgrund, gar nicht mehr daran zu denken, in Leipzig auszustellen. Alles, was man künstlerisch tat, hatte in dem Augenblick, wo die Mauer nicht mehr bestand, keinen Sinn mehr.

Nun sind Sie aber doch in Leipzig.

Als er mich im Frühjahr wieder darauf ansprach. war er für mich auch gar nicht mehr in Verbindung zu bringen mit dem Lybke, den ich damals in Berlin traf. Zum jetzigen Zeitpunkt eine Ausstellung in Leipzig zu machem, fand ich absolut absurd. Und dann besuchte er mich in Düsseldorf, und ich habe gesagt: „Gut, ich komme nach Leipzig.“ Und da traf ich die Künstler der „Eigen+Art“ beim Ausbau dieser neuen Räume. Ihnen stellte ich wiederum die Frage, weshalb nicht einer der Künstler der DDR ausgestellt wird, denen die „Eigen+Art“ schon jahrelang sozusagen Untergrundaustellungsraum gegeben hat. Und als mir Herold dann sagte, sie hätten lange diskutiert und beschlossen, nicht auszustellen, dann hat mich das schon berührt. Ich habe ja auch meine geschichtliche Heimat in der DDR. Nicht nur mental ist das eine der ganz großen Herausforderungen.

Das hatte mit Sicherheit Auswirkungen auf die Konzeption der Ausstellung.

Ich konnte hier in Leipzig nicht mit Bildern auftreten, wie sie kommerziell in Galerien Verbreitung gefunden haben und verkauft werden, auch nicht mit Museumsstücken, denn das wäre ja auch nur so 'ne Art Bestätigung meiner Arriviertheit, gegen die ich ja ständig kämpfe. So hab‘ ich in der kurzen Zeit versucht, meinen Gefühlen mit Hilfe von Bildern Ausdruck zu geben und sie thematisch mit Arbeiten zu verbinden, die ich zum Beispiel schon nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl gemacht habe, nach meinen Erfahrungen in Polen und meinen Erfahrungen in Sibirien, der Mongolei und der Sowjetunion, in der Zeit so um 85/86. Diese Themen konzentrieren sich hier zu einem aufrichtigen Gefühl, einer Emotion, die zu Bildern geworden ist; mit aller Fragwürdigkeit.

Sie zeigen in der „Eigen+Art“ also Arbeiten aus den achtziger Jahren und auch erst kürzlich entstandene. Wer Älteres von Ihnen kennt, wird in Leipzig auf die gleichen formal-stilistischen Prototypen treffen, die sich bereits Ende der fünfziger Jahre herausbildeten, wie auch der Nagel oder die weiße Farbe als künstlerische Mittel. Vielleicht sagen Sie noch etwas über das Finden dieser Ausdrucksformen.

Noch in der DDR wurde ich ja sozusagen herausgefordert, die sichtbare Welt abzubilden; zeichnerisch mit der Spitze eines Bleistiftes im Auge herumstochernd oder in der Vagina, aktzeichnend. Und dann merkte ich, die eigentliche Realität ist mein Schauern, während ich dies tue. Es ist wie bei Bunuel im Andalusischen Hund, wo man mit der Rasierklinge in die Augen schneidet. Ich hab‘ mich befreit von diesem begrenzten Vorstellungsbild, die Welt in Grenzen zu sehen. So wurde ich mörderischer und auch eindringlicher, und durch das nun freigewordene Handeln gab es ganz logisch Beziehungen zu meiner Arbeit als Bauernjunge auf dem Feld, wo ich eggte und pflügte. Handlungen dieser Art habe ich einfach mit in meine künstlerische Arbeit aufgenommen. Zum anderen im Sinne meines Kulturinteresses entdeckte ich Archetypen, wie wir sie in frühen Kulturen kennen. Es sind immer dieselben Zeichen des menschlichen Ausdrucks, die auch heute noch tragfähig sind. Daß es sich in meiner Arbeit um Nägel handelt, ist dann eigentlich nur die Impertinenz, in etwas einzudringen. Wenn man sich gestaltend auf einer Fläche, die man vorbereitet hat, bewegt, dann kommt immer der Drang bei mir, es zu vernageln und zu zerstören. Es ist die Unfähigkeit, Welt abzubilden. Das Scheitern ist dann auch viel menschlicher und intensiver im Ausdruck, als die Welt in ihrer Begrenztheit abzubilden, in äußerer Betrachtungsweise. So werde ich auch immer freier in meinen Handlungen, immer nackter, bloßer, eindringlicher. Das Scheitern ist Ausdruck meiner Kunst.

Parallel zu dieser Ausstellung wurde vor zwei Wochen in Edinburgh eine Ausstellung eröffnet, und am 16.September wird in St.Petri zu Lübeck ein drittes Projekt beginnen. Haben diese verschiedenen Orte eventuell eine zusammenhängende Bedeutung?

Die Aktualität, die Ost-West- und West-Ost-Entwicklung, ist natürlich ein tägliches Thema. Ich kann mich der geistigen Auseinandersetzung der Betroffenheit, der Angerührtheit auch gar nicht entziehen. In Edinburgh endet die nördlichste Straße der Römer. Dort trafen sie auf die Ureinwohner, bis dann schließlich die Gegenbewegung kam. Die der Kelten, die Europa beeinflußten bis in die vorderasiatisch-türkischen Bereiche. So stand dies Nordöstliche jetzt in meiner Überlegung einfach quer wie im Kreuz zu diesem West -Östlichen und Ost-Westlichen. Es erschien mir daher sinnvoll, diese Vorstellung zum Thema meiner Ausstellung in Edinburgh zu machen.

Sie nannten den 9.November. Die Entwicklung der letzten Monate verschonte auch die Kultur- und Kunstlandschaft nicht. Was meinen Sie, gilt die in der DDR entstandene Kunst ohne das exotische Etikett international noch etwas?

Ohne diesen historischen Hintergrund wäre die „DDR-Kunst“ ein Schmarren, wirklich. Nur dieser historische Hintergrund qualifiziert das, was man DDR-Kunst nennt, das macht diese Arbeiten interessant. Nun kann man sagen, das ist provinziell wie afrikanische Kunst irgendeines Stammes. Aber es ist interessant.

Sie kennen die Baselitz-Äußerung?

Man muß es differenziert betrachten, was die Kunstentwicklung in der DDR bedeutet, man kann sie einfach nicht als eine bornierte Idiotie abtun oder wie Baselitz sagt: „Arschlochmalerei“ oder so. Es ist einfach eine andere historische Bedingtheit, eine deutsche Entwicklung auf deutschem Sprachgut und deutscher Visionsfähigkeit, also im Sinne phänomenologischer Bildhervorbringung. Wir können jetzt nicht ignorant sein und sagen, die Ostkultur ist nun überwunden mit Hilfe von Glimmer und den Marktprodukten, die als die gängigen in westlichen Galerien gehandelt werden. Das wäre nun wirklich eine Art Kulturkolonialismus. Negative historische Umstände sind genauso lehrreich wie viele andere, die wir noch gar nicht entdeckt haben, also von seiten des Westens aus betrachtet. Als Westmensch, obwohl im Osten geboren und somit geprägt, kann ich die Problematik der Ostmenschen jetzt nicht weiter interpretieren.

Welche Chance geben Sie dem Galerieunternehmen von Gerd Harry Lybke?

Die Galerie wird funktionieren, wenn die DDR-Künstler, die ja nun von westdeutschen Galerien hofiert werden und denen vieles abgekauft wird, weiterhin zu Lybke halten. Und wenn die Künstler begreifen, daß das eine wichtige Rolle für Internationalität ist. Leipzig wird eine wichtige Kulturstadt in Europa werden, wie Prag zum Beispiel. Zum anderen ist das Interesse von internationalen Sammlern sehr groß. Daher ist es auch sinnvoll, daß Lybke hier in Leipzig eine neue Galerie aufmacht.

Das Interview führte Liane Burkhard