„Gefahr, daß die Sicherheitsapparate aus dem Ruder laufen“

■ Max Coleman, Mitglied der Südafrikanischen Menschenrechtskommission, über Menschenrechtsverletzungen der südafrikanischen Polizei

INTERVIEW

Jüngste Zusammenstöße zwischen Inkatha- und ANC-Anhängern sowie Übergriffe der Polizei überschatten zunehmend die Verhandlungen zwischen Regierung und ANC. Erzbischof Desmond Tutu besuchte die Schwarzensiedlung Sebokeng, wo die Polizei am Dienstag 40 Menschen erschossen hatte, und warf der Polizei vor, mit solchen Gewalttaten die Verhandlungen zum Scheitern bringen zu wollen.

taz: Nach den jüngsten Auseinandersetzungen ist die Zusammenarbeit zwischen der Polizei, oder zumindest Teilen von ihr, und Inkatha offensichtlich. Wie kann damit umgegangen werden?

Coleman: De Klerk muß die Situation fest und entschlossen unter seine Kontrolle bringen. Das bedeutet, daß die Sicherheitskräfte nicht tun und lassen können, was sie wollen, sondern sich an die Vorschriften halten müssen. Und die Vorgesetzten müssen aufpassen, daß ihre Untergebenen sich nicht über die Anweisungen hinwegsetzen. Es ist schwer zu sagen, auf welcher Ebene des Sicherheitsapparats die politische Kontrolle verloren geht: vielleicht bei den mittleren Chargen, vielleicht auch in der Führungsebene.

Glauben Sie wirklich, daß de Klerk oder Vlok die Autorität haben, an dieser Situation etwas zu ändern?

Vlok ist der Minister für Sicherheit und Ordnung. Es liegt in seiner Verantwortung, dafür zu sorgen, daß die Polizei ihre Pflicht tut und sich nicht auf eine Seite der Gesellschaft schlägt oder eigene politische Absichten verfolgt. Tatsächlich hat sich der Präsident Anfang des Jahres an mehrere hohe Polizeibeamte gewandt und ihnen klar gemacht, daß sie eine technische und keine politische Rolle im Staat zu spielen haben.

Aber manche Leute sind der Ansicht, daß die Regierung das heiße Eisen Sicherheitsapparat nur sehr widerwillig anpackt, weil sie einen Putsch fürchtet.

Das ist nicht auszuschließen, aber andererseits auch nur eine Spekulation. Und wie auch immer: Die Regierung ist die einzige Instanz, die tatsächlich etwas ändern kann. Ansonsten kann es leicht sein, daß die Sicherheitskräfte völlig aus dem Ruder laufen.

An welche Maßnahmen denken Sie?

Alle, die nicht so handeln, wie es ihre Aufgabe vorsieht oder die gegen Gesetze verstoßen, müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Meinen Sie nicht, daß auch die Gesetze geändert werden müssen, auf deren Grundlage die Polizei heute arbeitet?

Wir drängen in erster Linie darauf, daß das „Gesetz zur inneren Sicherheit“ (Internal Security Act) abgeschafft wird, weil es eine politische Waffe ist. Die Meinungsfreiheit muß garantiert werden.

Die Menschenrechtskommission hat in dieser Woche einen Bericht über den CCB veröffentlicht (Civil Cooperation Bureau - geheime Killerkommandos in Polizei und Militär, d. Red.).

Ja, wir zeigen darin auf, daß die staatliche Gewalt vier Komponenten hat. Da sind zunächst die Sicherheitskräfte und ihre Art zu agieren. Zum zweiten gibt es den ganzen Bereich des Sicherheits-Managements, das früher vorwiegend in den Händen der Leute vom Sicherheits-Establishment lag; das ist zwar bei weitem weniger geworden, aber nichtsdestotrotz weiter existent. Als drittes Element sind die Bürgerwehren zu nennen. Es ist offensichtlich, daß der Staat den Selbstschutz hervorgebracht und sicherlich auch sein Anwachsen gefördert hat. Als viertes sind die Schlägertrupps zu nennen, die ohne Zweifel aus staatlichen Strukturen hervorgegangen sind. Im zukünftigen Südafrika darf es zum Beispiel keine geheimen Finanztöpfe geben. Wo Geheimhaltung zwingend notwendig sein sollte, muß es einen zivilen Einfluß auf solche Budgets und Aktionen geben. Und sie müssen immer von Institutionen außerhalb ihrer eigenen Strukturen überprüft werden.

Interview: Hans Brandt