: Endet Kolumbiens Drogenkrieg?
■ Zuckerbrot und Peitsche für die Kokainbarone: Wenn sie sich stellen, werden sie nicht mehr an die USA ausgeliefert / Präsident Gaviria ging auf eine alte Forderung der Kokainbosse ein
Aus Bogota Ciro Krauthausen
„Wir ziehen ein Grab in Kolumbien einer Zelle in den USA vor“ - dieser markige Briefkopf aller Kommuniques des Kokainkartells von Medellin könnte überflüssig werden, sollte eine am Montag abend vom kolumbianischen Präsidenten Cesar Gaviria verkündete Strategie zur Bekämpfung der Drogenmafia Erfolg haben. Mit dem Dekret 2074 wird reuigen Kokainbaronen - sogar Drogenboß Pablo Escobar, wie Justizminister Giraldo betonte - zugesichert, daß sie nicht an die USA ausgeliefert werden, und auch ein Strafnachlaß von bis zur Hälfte der Haftzeit in Aussicht gestellt. Allerdings müssen sich die Drogenbosse freiwillig der kolumbianischen Justiz stellen, ein Geständnis ablegen, ihr aus dem Drogenhandel gewonnenes Vermögen deklarieren und die Waffen abgeben. Wenn nicht, können sie weiterhin an die in Drogenhändlerkreisen äußerst gefürchteten US-Behörden ausgeliefert werden. Außerdem wird Mitgliedern paramilitärischer Schwadrone bei freiwilliger Waffenübergabe Straffreiheit angeboten. Noch am Montag abend gab es eine konkrete Entscheidungen, drei Mafiosi wurden an die USA ausgeliefert, weitere drei in Kolumbien behalten, und die Entscheidung über einen siebten wegen seines kritischen Gesundheitszustandes wurde aufgeschoben.
Durchgehend alle Politiker und Juristen sowohl der liberalen Regierungspartei als auch der Opposition fanden die Regelung zumindest „intelligent“, und sogar die Tageszeitung 'El Espectador‘, deren Redaktionsgebäude im vergangenen Jahr von der Kokainmafia in die Luft gesprengt wurde, schlagzeilte wohlwollend: „Eindämmung des Drogenterrorismus“. Indes traf jener Radioreporter, der vom „Ende des Alptraums Drogenkrieg“ sprach, die optimistische Stimmung in der kolumbianischen Öffentlichkeit am besten. Denn die Beendigung der Auslieferungen an die USA ist schon seit Jahren die zentrale Forderung der Kokainbarone des Medellin-Kartells. Zuletzt hatten die Mafiosi um Pablo Escobar im Januar dieses Jahres angeboten, ihre Kokaintransporte und die Terrorakte einzustellen und sich der Justiz zu übergeben - wenn sie nicht den Flug gen Norden antreten müßten. Obwohl Präsident Gaviria auf einer Pressekonferenz ausdrücklich darauf beharrte, es sei nicht mit der Drogenmafia verhandelt worden, ist offensichtlich, daß die Regierung die Forderungen der Kokainbosse zumindest in Betracht zog.
Das Medellin-Kartell, so glaubt die konservative 'Prensa‘ zu wissen, ist von den Maßnahmen einigermaßen überrascht. Auf einem Gipfel in Mittelamerika soll das weitere Vorgehen beraten werden. Zentrales Problem für die Drogenhändler: der Umgang der Regierung mit Vermögensdeklarationen. Die Mafia möchte nicht, daß das Ausmaß ihres Reichtums von der Regierung in der Öffentlichkeit publiziert wird.
Bleibt die Frage, ob die labile und ineffiziente kolumbianische Justiz mit der nun eventuell auf sie zukommenden Prozeßwelle fertig werden kann. Nachdem ein Sprecher der Angestellten des Justizwesens bemängelte, daß keinerlei neue Sicherheitsvorkehrungen für die Richter vorgesehen sind, kündigte Gaviria gestern neue Dekrete an, die diese Frage behandeln sollen. Seit 1980 sind in Kolumbien über 220 Richter ermordet worden, die Mehrzahl von der Drogenmafia.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen