Grüne/Bündnis 90 greifen zum „Notanker“

■ Verhandlungen in Ostberlin / Kandidatenaufstellung über Landeslisten der DDR-Grünen / Kontroverse um die Namensfrage

Aus Berlin Beate Seel

Die Funktionärsgruppe des Neuen Forums am Runden Tisch der Opposition im Haus der Demokratie ist immer für eine Überraschung gut. Bei den Bündnisgesprächen zwischen Vertretern der Grünen aus Ost und West sowie der Bürgerbewegungen der DDR am Donnerstag nachmittag legte Klaus Wolfram drei „Essentials“ auf den Tisch: Die Gründung einer „Wahlpartei“, eines „künstlichen Konstrukts“, wird abgelehnt; der Name des Bündnisses müsse schlicht „Die Grünen“ lauten und die KandidatInnen sollten über die Landeslisten der Grünen Partei der DDR aufgestellt werden; eine Beteiligung der Vereinigten Linken als Organisation an dem Bündnis für die gesamtdeutschen Wahlen sei nicht akzeptabel. Abgesehen vom letzten Punkt eine bemerkenswerte Kehrtwende, war man doch davon ausgegangen, daß Die Grünen/Bündnis 90 quasi als Block verschiedener Vereinigungen antreten.

Hintergrund dieser Essentials und der Debatte waren vorherige Sondierungsgespräche mit der Bundeswahlleitung. Danach werden Die Grünen/Bündnis 90 als Altpartei anerkannt, womit die aufwendige Unterschriftensammlung für die Kandidatur einer Neupartei entfällt. Wie Eberhard Walde von den Bundesgrünen jedoch erläuterte, müsse das Bündnis ein Personenbündnis und nicht ein Bündnis verschiedener Vereinigungen sein. Dies war der Knackpunkt nicht nur für das Neue Forum. In einer sehr kontrovers geführten Diskussion wurde vor den Nachteilen einer wahlfähigen Partei gewarnt: Von Verselbständigung und fehlender Rückkoppelung der gewählten Abgeordneten mit der Basis war die Rede, das „Konstrukt“ würde die Mitglieder der Einzelorganisationen aufsaugen und überhaupt habe man keine Garantie, was nach den Wahlen daraus wird. Allianzen der letzten Gesprächsrunde wurden über den Tisch geworfen, plötzlich zogen das Neue Forum und die Grüne Partei einhellig an einem Strang, unterstützt von den meisten West-Grünen. Demgegenüber warnte Heide Rühle vom Bundesvorstand (BuVo) vor einem „Schlucken“ der Bürgerbewegungen durch die Grüne Partei und warf nach „leidvollen Erfahrungen“ die Frage in den Raum, ob angesichts der Rivalitäten in Sachsen und Thürigen überhaupt gemeinsame Listen in der geheimen Abstimmung zustande kommen würden, Bedenken, die auch Thomas Luck vom Neuen Forum Berlin-Pankow teilte.

Letzendlich folgten die Anwesenden einem Kompromißvorschlag der Westgrünen, der vorsieht, daß die gemeinsam aufzustellenden KandidatInnen auf den Landeslisten der DDR -Grünen antreten. Christian Ströbele (BuVo) begründete den Sinneswandel damit, daß nach dem Wahlgesetz eine wirklich freie Bündnisbildung nicht möglich sei und man deshalb zu diesem „Notanker“ greifen müsse. Der Antrag beinhaltete in weiteren ebenfalls abgesegneten Punkten außerdem die Einrichtung eines Koordinierungsrates, der die Listenaufstellung regelt und den Wahlkampf organisiert sowie die Beibehaltung des Namens Die Grünen/Bündnis 90, wobei die einzelnen Landeslisten in Klammern (!) Zusätze anhängen können. In einer Protokollerklärung wurde außerdem festgehalten, daß die Grünen-BRD sich dafür einsetzen, daß die Fusion mit den Grünen-DDR nicht vor den Wahlen am 2. Dezember stattfindet.

Die Frage des Namens und der Fusion sorgten für gehöriges Furore. Namentlich für die Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) und Demokratie Jetzt (DJ) kommt eine vorherige Fusion nicht infrage, geht es doch darum, daß die Bürgerbewegungen der DDR inclusive der Grünen Partei als eigenständige politische Kraft ins Parlament einziehen. Am Wochenende wird der Parteitag der DDR-Grünen darüber befinden.

Bei der Namensfrage plädierten IFM und DJ nachdrücklich für die Beibehaltung von „Die Grünen/Bündnis 90“. Umgekehrt insistierte das Forum, das zuvor selbst im Namen auftauchen wollte: „Der Name muß 'Die Grünen‘ sein.“ Fast schien es, die Runde würde ohne Ergebnis auseinandergehen, vor allem, als Klaus Wolfram (NF) die Möglichkeit juristischer Schritte in den Raum stellte, falls der Name Bündnis 90 ohne Beteiligung des NF verwandt würde. Damit war für Wolfgang Templin (IFM) die rote Linie deutlich überschritten und er verließ vorrübergehend den Raum. Doch letzendlich war der Zwang zur Einigung größer. Als es schließlich um die Abstimmung ging, sorgte ein GO-Antrag des NF nochmals für Empörung. Mit dem Verweis darauf, daß die beiden Vertreter aus den Regionen ihre Züge erreichen mußten, beantragten sie gegen 23 Uhr Abbruch und Verschiebung der Debatte. Es sei Beschlußlage, daß nicht nur Berliner Vertreter abstimmen dürften. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, doch die „Beschlußlage“ hinderte die beiden Berliner NF -Vertreter nicht daran, auch bei der folgenden Abstimmung ihr Votum abzugeben: In einer Blitzentscheidung und ohne Debatte beschlossen die Anwesenden in einem gemeinsamen Antrag von NF, DJ und VL, daß die Vereinigte Linke nicht als Organisation Teil des Bündnisses ist, aber durch einzelne ihrer Mitglieder an der Kandidatenverteilung teilnimmt.