„Amnestie nicht nur für kleine Stasi-Mitarbeiter“

■ Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin will zum Vereinigungstag eine Amnestie auch für bundesdeutsche Opfer des kalten Krieges / Berufsverbotsopfer und Totalverweigerer sollen rehabilitiert werden

INTERVIEW

taz: Frau Däubler-Gmelin, die Bundesregierung hat vor, die sogenannten kleinen Stasi-Mitarbeiter zu amnestieren. Das wirft natürlich einige Probleme auf mit Geschichten, die wir hier in der Bundesrepublik noch zu lösen haben.

Herta Däubler-Gmelin: Was mich stört, ist, daß man im Justizministerium aus Anlaß der deutschen Vereinigung nur an die Stasi-Mitarbeiter, die in der BRD spioniert haben, denkt. Mir geht es darum, daß wir aus Anlaß dieses einmaligen Ereignisses der deutschen Einheit uns überlegen, eine ganze Reihe von strafrechtlichen Sachverhalten, aber auch von solchen, die durch eine bürokratische Diskriminierung oder die disziplinarrechtlich erfolgt sind, wieder aufzugreifen und endgültig aus der Welt zu schaffen. Zum zweiten halte ich es auch einfach nicht für gelungen, daß man ausgerechnet jetzt die Stasi-kleine-Fische-Amnestie macht, bevor die Rehabilitierung der Opfer, die ja noch durch die Volkskammer erfolgen soll, überhaupt in die Wege geleitet worden ist.

Gibt es konkrete Überlegungen über den Umfang dieser Amnestie auf seiten der SPD?

Ja, darüber ist im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag schon geredet worden. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, daß wir diesen Weg nicht für richtig halten, sondern daß wir der Meinung sind, daß die Frage der Berufsverbote oder des Paragraphen 6 des Entschädigungsgesetzes und insbesondere die Frage der ganzen Verurteilungen innerhalb der Friedensbewegung, die Blockierer und andere, aufgegriffen werden sollten. Ich kann da auch noch andere Beispiele nennen: Es gibt Bereiche in Strafrecht, wie zum Beispiel bei der Frage der politischen Bedrohung, Paragraph 241a, die nur vor dem Hintergrund der deutschen Teilung und des kalten Krieges zu verstehen sind. Wir sagen deshalb, laßt uns darüber reden - das haben wir schon vor Wochen gesagt, nur war die Bereitschaft bei der Regierungskoalition da nicht sehr groß - daß wir da was Vernünftiges machen. Und ich habe mit großem Interesse gehört, daß Herr Lambsdorff aber auch Herr Engelhardt gesagt haben, gut, laßt uns darüber reden. Jetzt muß nur noch das Einverständnis kommen, daß wir das bald machen, also umfassend amnestieren.

Wer soll in der Noch-Bundesrepublik amnestiert werden?

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit - wir werden in der nächsten Woche einen Antrag einbringen mit insbesondere vier Gruppierungen: Das sind die Berufsverbote, das ist der Paragraph 6 Entschädigungsgesetz, also Fälle von alten Kommunisten, die von den Nazis im KZ gequält worden sind, sich später aber nach Meinung der westdeutschen Justiz für die falsche Seite entschieden haben und deshalb keine Entschädigung bekommen haben. Da geht es um Renten für jetzt ganz alte Leute, da geht's auch um immaterielle Rehabilitierung. Wie schon erwähnt, der Paragraph 241a. Weiter geht es um Doppelbestrafungen für Totalverweigerer.

Wird sich die SPD in diesem Zusammenhang auch mit einer Amnestie für Verurteilungen aufgrund Paragraph 129, 129a und im Zusammenhang „terroristischer Straftaten“ befassen?

Zum 129a gibt es Prüfanträge von uns. Im Augenblick geht es uns aber um etwas anderes. Was wir jetzt meinen, ist, daß aus Anlaß des einmaligen Vorgangs der deutschen Einigung alles, was an kleineren Delikten und Diskriminierungen mit der deutschen Teilung und dem kalten Krieg zusammenhängt, aufgehoben werden sollte.

Sie haben auf den Bundespräsidenten verwiesen, der Herrn Bastian (vom Berufsverbot betroffen; d.Red.) begnadigt hat. Müßte nicht von seiten des Bundespräsidenten ein stärkeres Signal erfolgen?

Das hat er damit gesetzt, und wir begrüßen das. Das reicht aber nicht aus. Außerdem setzt Begnadigung Verurteilung voraus. Wir wollen eine Stufe früher ansetzen. Die Zahl derer, die davon betroffen sein könnten, beziffert sich in den laufenden Verfahren immer noch auf mehrere Dutzend und bei Fällen, die darunter leiden, daß sie aufgrund von Berufsverbotsurteilen nicht wieder eingestellt worden sind, auf eine noch erheblich größere Zahl.

Wenn die Bundesregierung auf einer Sonderamnestie für kleinere Stasi-Mitarbeiter beharrt, tragen sie dann ein solches Amnestiegesetz mit?

Ich persönlich habe Bedenken. Ich will eine positive Lösung in dem größeren Sinne. Die Bundesregierung kann, wenn sie das will, das Stasi-Gesetz auch ohne uns beschließen. Doch ich bin da ganz optimistisch. Ich sage immer: Die Vernunft wird sich durchsetzen, unterstützt durch unsere Mehrheit im Bundesrat. Damit sind wir in diesem Sommer nicht schlecht gefahren. Ich hoffe, daß wir das mit der Amnestie auch noch hinkriegen.

Interview: Raul Gersson