„Krieg ist nicht die richtige Antwort“

■ Dr. Jamel Shaer, Vorsitzender der Demokratischen Unionspartei Jordaniens, über eine „arabische Lösung“

I N T E R V I E W

Dr. Jamal Shaer bekleidet zur Zeit kein offizielles Amt. Er kann daher öffentlich Stellung zu Fragen beziehen, deren Beantwortung andere jordanische Politiker auf Grund der prekären Position Jordaniens in der Golfkrise zur Zeit ablehnen.

Shaer war von 1948 bis 1975 Mitglied der Baath Partei und gehörte dem Vorstand des jordanischen Flügels an. Von 1976 bis 1984 gehörte er dem sogenannten „Nationalrat“ (National Consultative Council) an, einem beratenden Gremium, das in der Zeit des Ausnahmerechts in Jordanien an die Stelle des aufgelösten Parlaments trat und dessen Mitglieder vom König ernannt wurden.

taz: Welches sind nach Ihrer Auffassung die wichtigsten Vorschläge im Rahmen einer „arabischen Lösung“ des Golfkonflikts, für die die jordanische Regierung ja zur Zeit auch westliche Unterstützung zu gewinnen sucht?

Jamal Shaer: Das alles ist sehr kompliziert geworden, aber nicht völlig unmöglich. Die allgemeine Richtung eines solchen Lösungsvorschlages würde auf einigen grundlegenden Überlegungen beruhen: Beispielsweise muß man das Konzept von Annektion und Besetzung in eine Art von Einheit, von besonderen Beziehungen zwischen Irak und Kuwait umformen, so wie es sich zwischen Nord- und Südjemen entwickelt hat: Daß nämlich irgendeine Form von Dialog zwischen der irakischen Regierung und der Familie Sabah, der regierenden Familie, die jetzt im Exil ist, in Gang kommen müßte. Und es wäre sehr wichtig, daß das kuwaitische Parlament an diesem Prozeß beteiligt wird.

1986 hat die Familie Sabah die Verfassung außer Kraft gesetzt und das - aus freien Wahlen hervorgegangene Parlament aufgelöst. Sonst kann man nicht über die „Selbstbestimmung“ der knapp 300.000 Kuwaitis sprechen. Außerdem Gespräche unter arabischer Aufsicht und unter einer internationalen Aufsicht. Gerade noch akzeptabel wären die Sowjets und die Franzosen, aber auf gar keinen Fall die Amerikaner und die Briten, denn die haben definitiv beschlosssen, die Araber in die Knie zu zwingen. Außerdem müßte es ernsthafte Gespräche darüber geben, wie die Beziehungen zwischen der Erdölregion und den anderen Arabern und der restlichen Welt in Zukunft aussehen sollen.

Wie könnte denn der erste praktische Schritt in Richtung auf eine friedliche, eventuell arabische Lösung der Golfkrise aussehen? Soll eine Art symmetrischer Rückzug der irakischen Armee aus Kuwait und der unter US-Führung stehenden Truppen aus Saudi-Arabien stattfinden und ein paralleles Einrücken arabischer Friedenstruppen?

Dazu gibt es unterschiedliche Vorschläge, aber keiner von ihnen ist realistisch, denn die Amerikaner werden nicht abziehen und die Iraker auch nicht. Die einzige Möglichkeit besteht darin, Verhandlungen aufzunehmen. Die Frage ist, wer soll diese Gespräche führen, um eine sogenannte arabische Lösung zu finden, die nicht für Saddam Hussein, sondern für eine arabische Mehrheit akzeptabel ist. Meiner Meinung nach hat sich König Hussein sich unter den neun Staaten, die die Entscheidungen der anderen zwölf arabischen Staaten nicht unterstützt haben, ein gewisses Ansehen verschafft. Bliebe die Frage, wer für diese zwölf sprechen kann. Man könnte sagen: Ägypten oder Marokko. Das wäre der Anfang. Die andere Alternative wäre eine nichtarabische Lösung. Man müßte die Araber übergehen, und ich glaube, daß dies eher realisierbar wäre. Und dann könnte man über die Vorschläge nachdenken, von denen Sie vorhin sprachen: Die amerikanischen oder westlichen oder internationalen Truppen, die den Golf und Saudi-Arabien besetzt halten, gegen arabische Truppen auszutauschen und Kuwait von internationalen Truppen besetzen zu lassen. Dann werden die Iraker abziehen und sich am Verhandlungstisch niederlassen. So sehe ich das.

Hat die Reise von König Hussein durch die westeuropäischen Hauptstädte eine friedliche Lösung des Konflikts näherrücken lassen?

Ja. Ich glaube, daß Seine Majestät durch seine Treffen mit den Europäern dazu beigetragen hat, die Auffassung zu stärken, daß Krieg keine Antwort sein kann. Eine Auffassung, die ja in den USA, in Frankreich, Deutschland, der Sowjetunion und sogar in Großbritannien immer mehr Anhänger findet.

Welche Hoffnungen haben Sie im Hinblick auf das geplante Treffen von Michail Gorbatschow und George Bush? Haben Sie die Befürchtung, daß man von amerikanischer Seite versuchen wird, die sowjetische Regierung unter Verweis auf die Möglichkeit, dringend benötigte Hilfe nicht zu leisten, auf Linie zu bringen?

Ich denke, daß so etwas sehr wahrscheinlich ist; Aber ich habe nicht das Gefühl, daß Gorbatschow sich den Wünschen der Amerikaner fügen wird. Ich glaube, und ich hoffe natürlich auch, daß die Sowjets während dieses Treffens versuchen werden, die Amerikaner davon zu überzeugen, daß Krieg nicht die richtige Antwort ist.

Interview: Nina Corsten, Amman