„Wasser ist unser Element“

■ Torfkahn-Fahrt mit dem Deichhauptmann: Vom Nutzen des Nassen

„900 Jahre nasse Füße“ heißt das Buch, das der „Deichverband am rechten Weserufer“ im Herbst herausbringen will. Immerhin vier Stunden nasse Füße, nasse Beine, nassen Bauch und nasses Haar holten sich knapp zwei Dutzend Deichverbands -Mitglieder, die am Donnerstag auf zwei offene Torfkähne gestiegen waren. Unter fachkundiger Führung des Deichhauptmanns Gerold Jans

sen, vorbildlich in hohe Gummistiefel und grünen Friesennerz gesteckt, tuckerten die TorffahrerInnen an den Deichen des Deichverbandes entlang und stellten fest: Das Land dahinter bleibt programmgemäß trocken, der eigene Kahn dagegen schwimmt unprogrammgemäß unter Bremer Wolkenbrüchen.

„Wasser ist unser Element“, sagt allerdings der Deichhauptmann und läßt sich die Ausflugsstimmung nicht verderben. Seit der Deichverband den Naturschutz zum Verbandsziel erklärt hat, steigt der Wasserpegel stetig. Denn trockenes Deichhinterland wird schnell unfruchtbar, Feuchtgebiete dagegen haben ökologischen Wert. Darüber sollten auch mal die Kleingärtner nachdenken, die sich an den Ufern der Hollerland-Fleete ihre Wochenendhäuser bauen. Die blecherne Spundwand am Ufer ersetzt ihnen den deutschen Jägerzaun. Flora und Fauna, denen es im Grenzbe

reich zwischen Naß und Trocken besonders gut gefällt, müssen den Stegen für die Motoryacht weichen.

Daß es auch anders geht, zeigt der Deichverband jetzt am Ufer des Maschinenfleets. Üppig hat sich dort das Schilf seinen Platz zurückerobert, Schutz für Entengelege und seltene Pflanzen - und im Unterschied zur Spundwand selbsterhaltend. Dafür aber nicht so zackig eckig, wie es der Hollerland-Kleingärtner gern hätte.

Den deutschen Aufräumtrieb gab es noch nicht, als im Jahr 1106 die ersten sechs holländischen Familien mit der Besiedlung des dann nach ihnen benannten Hollerlandes begannen. Aber ökologische Fehlentscheidungen gab es auch damals schon. Bis ins 16. Jahrhundert wuchsen die Deiche immer höher aus dem Moorgebiet. Die Folge: Über 100 Höfe aus Wetterung, Hemme, Damme, Bavendamm und den an

deren über das Hollerland verstreuten Örtchen mußten an die Wümme verlegt werden. Denn bei Sturmflut wurde jede Hand direkt am Deich gebraucht.

Und als so die Deiche dicht wurden und die Nährstoffe der jährlichen Überflutung ausblieben, verödete das Hollerland. Dort wo früher Weizenfelder wogten, steht heute nur noch schwarz-buntes Milchvieh widerkäuend auf sauren Wiesen - ein ökologisches Desaster gutgemeinter Deiche.

Ändern kann das heute auch kein Deichverband mit Naturschutzklausel mehr. Das Moor im Hollerland ist abgesackt, das Torf als Brennstoff verkauft. Selbst das Schleifen der Deiche würde heute höchstens dazu führen, daß das grüne Land auch noch mit Salzen und Schwermetallen des Weserabfluß-Wassers versaut wird. Pitschnaß aber klüger stieg der Hollerland-Ausflug vom Torfkahn.

Dirk Asendorpf