„Ein Antifaschist friert nicht“

■ Im Lustgarten wurde gestern der 9. September bei starkem Regen gefeiert / Früher ein SED-Ritual, jetzt ein „Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung“: Für ein menschliches Miteinander

Mitte. Das hatten die Veranstalter nicht verdient. In fliegender Hast wurden die Informationsstände abgeräumt, die Bücher vor dem prasselnden Regen in Sicherheit gebracht. Das Fest zum 9. September, dem „Tag der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus, der Mahnung und Begegnung“, drohte zu ertrinken, bevor es eigentlich begann. Nur der Arsenal -Verlag hielt aus. „Ein wahrer Antifaschist wird nicht naß, friert nicht, und der Wind kommt von hinten“, witzelte der Lektor Peter Moses und zündete sich unter einer wasserdichten Plane die Pfeife an.

Unter dem Motto „Antifaschismus - Menschlichkeit in Aktion“ versammelten sich gestern einige tausend Menschen aus Ost und West-Berlin im Lustgarten. Sie wollten diesen Tag, der seit 1945 an jedem zweiten Sonntag im September gefeiert wird und in den letzten Jahren immer mehr zu einer Protokollveranstaltung der SED versteinerte, ein neues Gesicht geben. „Der Antifaschismus wurde in der Vergangenheit auf Flaschen gezogen und wurde schal“, sagte der Rektor der Humboldt-Universität, Heinrich Fink, in seiner Begrüßungsansprache. „Der Antifaschismus kann nicht verordnet, sondern nur gelebt werden.“ In Zukunft sollte dieser Tag ein Signal für ein Mehr an Toleranz, für ein menschliches Miteinander der BerlinerInnen und der deutschen und ausländischen Mitbürger und ein Tag gegen Haß und Gewalt werden.

Er sei entsetzt, betonte Peter Kirchner, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Ost-Berlin, daß die Volkskammer rechtsradikale Gruppen zu den Wahlen zugelassen habe und zugleich versuche, linke Gruppen auszugrenzen. Das sei ein schlechtes Omen für die Zukunft. In die gleiche Kerbe schlug Lea Rosh. Sie wertete es als eine „Katastrophe“, daß die Verantwortung der Deutschen für die Einmaligkeit der nationalsozialistischen Verbrechen nicht im Einigungsvertrag verankert worden sei. Statt diesen Vorschlag des Zentralrats der Juden in Deutschland aufzunehmen, würden in der Präambel nationalsozialistische und stalinistische Verbrechen gleichgesetzt. „Diese Geschichtsklitterung werden wir uns nicht gefallen lassen“, sagte sie unter großem Beifall.

Aber es gab auch Kritik unter den Zuhörern. Einige verließen die Veranstaltung vorzeitig, weil durchweg alle Redner die Leiden der Juden in den Vordergrund stellten und fast vergaßen, der vielen tausend ermordeten Widerstandskämpfer zu gedenken. „War denn an unserer Loyalität zur DDR alles schlecht, werden wir nicht mehr gebraucht?“ fragte eine aufgebrachte alte Dame in einem Gesprächskreis. Zufriedener als sie waren die vielen kleinen Zigeunerkinder, die am Rande der Veranstaltung die Gunst der Stunde nutzten. Soviel Markstücke wie an diesem einen Sonntag hatten sie noch nie bekommen.

aku