piwik no script img

Nichts Neues aus dem gallischen Dorf

■ In Kreuzberg rief Bürgermeister König (SPD) zur Diskussion über den Kiez in der künftigen Mitte der Metropole

Berlin. Kreuzberg, das gallische Dorf, betreut von Majestix König (SPD) und in manch denkwürdigen Schlachten verteidigt vom multikulturellen Einwandererstamm - was wird aus diesem Kiez am Rande der Stadt, nachdem ihn die Zugluft der Geschichte in die Mitte der zukünftigen Metropole geblasen hat?

Im Jugend- und Kommunikationszentrum Chip in der Reichenberger Straße trafen sich Einwohner und Eingeladene, um sich darüber öffentlich Gedanken zu machen. Angefangen wurde mit einer Bestandsaufnahme: Natürlich ist jetzt schon alles schlechter, alles teurer, alles voller. Auch die Gründe schienen klar: Die Mauer ist weg, der Bundeskanzler zu schnell und die Ossis zu gierig. Jetzt erst recht fehlen Wohnungen, Gewerberäume und Einkaufskörbe. Kleinstadtmüden Menschen, die extra in das „geile Berlin“ gezogen sind, fehlt auf einmal „die Ruhe rund um mein Haus, wo früher die Mauer stand“.

Ein Grund für Bürgermeister König, vor „einem neuen Fremdenhaß“ zu warnen. Da nickten die meisten zwar zustimmend, feixten aber trotzdem darüber, daß Honni jetzt das Bundesverdienstkreuz bekommt, „weil er uns 40 Jahre die Ostler vom Hals gehalten hat“. Erst ein Mann aus Berlin -Mitte übernahm die aufklärerische Funktion, den Wessis ihre Denkfaulheit und spießige Arroganz aufzuzeigen: „Den Ossi möchte ich sehen, der euch hier eine Wohnung wegnimmt, da er in seinem Betrieb gerade mal so viel verdient, wie er hier Miete zahlen müßte.“ Und stellte weiter richtig: „Die Wessis kaufen bei uns die Häuser auf, treiben die Mieten in die Höhe und verstopfen die Straßen mit ihrem ambulanten Handeln.“

Zuvor aber mußten noch die positiven Seiten Kreuzbergs benannt werden, die sich in den Floskeln von multikulturell bis alternativ erschöpften. Erst Özcan Ayanoglux, freier Mitarbeiter von „Radio 100“, stellte den Mythos Kreuzberg wieder richtig: „Hier ist die schlechteste Luft, die höchste Kindersterblichkeit, die größte Jugendarbeitslosigkeit und der geringste Grünflächenanteil.“ Daß sich daran nichts ändern wird, stand für einen Zuhörer fest: „Weil die Geldhaie aus dem Wessiland kommen.“ Und die kaufen und verkaufen, was der Magnetstreifen auf der Moneycard hergibt, ohne sich um den Kiez zu kümmern. Majestix König sieht darin zwar kaum eine Gefahr, denn „außer dem Moritzplatz und dem Spreegürtel haben wir keine Industrieflächen mehr“.

Den ausländischen Mitbürgern zieht soviel Naivität das Gesicht zusammen. „Wer, bitte schön, sind denn die ersten, die aus dem Kiez fliegen?“ rufen sie und geben sich die Antwort gleich selbst. Da nützt auch Königs Vision von einem multikulturellen Europa, ergo auch Berlin, nichts: Im Bezirksamt sitzt kein türkischer Beamter (dazu müßte man nämlich ein Deutscher sein), im Sozialamt ganze zwei Mitarbeiter. Die konkrete Aufforderung an König, in Kreuzberger Amtsstuben die Quotierung für Ausländer einzuführen, überdeckt er lieber mit dem stolzen Hinweis auf das kommunale Wahlrecht.

Torsten Preuß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen