Stark gedrosselt

■ Klaus Michael Grübers „Parsifal“ in Amsterdam

Der Drang der Schauspielregisseure zum Musiktheater scheint unaufhaltsam. Sie meinen es dort - weil die Musik die Sache „trage“ - wohl einfacher zu haben; denn Sängerton und Orchesterfarben überbrücken das so vielen Imponderabilien ausgesetzte Kontinuum der Zeit nicht nur großflächig, sondern das Metrum des Tonsatzes strukturiert den Ablauf bis zu den kurzen Momenten. Kaum ein namhafter Zeremonienmeister des Sprechtheaters, der in den letzten Jahren nicht Zuflucht beim Musiktheater genommen - Claus Peymann ist inzwischen die sprichwörtliche Ausnahme; sie haben jeweils für sich und oft auch für Zuschauer neue Sichtweisen entdeckt. Zugleich aber teilt sich vom Zustand des Theaters, das die Flügel nicht mehr recht hochbekommt, schon gar nicht mehr zu Höhenflügen abhebt, nun auch auf den Musikbühnen der kühle Hauch mit.

Klaus Michael Grüber, der vor allem durch die Berliner „Schaubühne“ Rang und Namen gewann, inszenierte am „Muziektheater Amsterdam“ jetzt - zusammen mit Ellen Hammer, die ebenfalls von der „Schaubühne“ kommt - Richard Wagners Parsifal. Die von Gilles Aillaud und Vera Dobroschke entworfenen Bühnenräume erwiesen sich dabei als unterschiedlich in Qualität und Konsistenz, wobei der Wille zu strikter Reduktion die Leitlinie vorgab. Glatte schlanke Säulen, kahl und hell ausgeleuchtet, symbolisierten Richard Wagners „schattigen Wald“. Nach solcher Betonung der Vertikalen das radikal horizontal gesetzte Gegenbild: Eine Tafel von wenigstens 30 Meter Länge schiebt sich die Vorderkante der Bühne entlang, 36 Brotlaibe und 48 rote Gläser sind darauf in gleichmäßigen Abständen gedeckt. Aber niemand ißt oder trinkt: Die Gralsritter gruppieren sich am Tisch wie eine vervielfältigte Jüngerschar auf den Abendmalsdarstellungen der italienischen Renaissance, die Köpfe gesenkt oder in Schrägstellung verharrend.

Die kleinen Gesten, die Mimik und die Körperstellungen sind genau gearbeitet. Insbesondere Jan-Hendrik Rootering versteht als Gurnemanz mit seiner einführenden Erzählung von den Problemen dieser Rittergesellschaft zu fesseln. Aber es bleibt ein Bericht aus einer fernen Zeit, die auch durch Bildzitate aus der Hoch-Zeit der Moderne nicht näherrückt: Miro und Paul Klee standen bei der Ausstattung von Klingsors Reich Pate, die „Rhythmischen Figuren“ und die „Landschaft mit gelben Vögeln“. Der Charakter eines Zauberlandes aber will sich dadurch nicht einstellen - die schwebenden Plastikteile in Kugel- und Gurkenform erinnern an Galerie -Installationen der vergangen Jahrzehnte.

Der dritte Aufzug erfreute schließlich mit einem Kontrast: Blieb die Bühne zunächst fast völlig leer, um Kundry neben einem Findling erwachen und Gurnemanz aus einer kleinen, grünen, von schmelzendem Schnee verzierten Erhöhung treten zu lassen, so füllte sich schließlich der weite Raum mit ein paar Dutzend Ritterrüstungen, welche die Choristen vor sich herschoben. Das macht durchaus Wirkung. Zumal, wenn der tote König Titurel als Selbstfahrer hereinrollt - eine wie von Geisterhand bewegte Rüstung in der Waagerechten. Die Amsterdamer wurden aber auch durch dieses, der Schaulust etwas entgegenkommende Schlußbild nicht für die auf Bildzitate und Bewegungsreduktion gegründete Inszenierung gewonnen. Die Mißfallensbekundungen fielen deutlicher als sonst aus bei dem der Moderne gegenüber so aufgeschlossenen Publikum am Waterlooplein.

Man hörte und sah aber auch einige klatschen. Vor allem für die Musik. Hartmut Haenchen, der aus der DDR stammende Dirigent, der jetzt den Holländern offenbarte, daß und wie sehr er sich allzeit im Widerspruch zum Ulbricht- und Honecker-Regime befunden habe, sorgte für eine durchgehend langsam gehaltene, insgesamt sehr transparente Darstellung der Parsifal-Partitur durch das Nederlands Philharmonisch Orkest. Wie Haenchen das Piano in vielen Schattierungen über weite Strecken ausbalancierte und nur bei den von Wagner explizit vorgesehen Passagen die Musik aufbranden ließ, war durchaus hörenswert. Nadine Denize, die vom Leben gejagte Kundry, zeigte trotz erkältungsbedinger Einschränkungen einen großen Ton der Klage, Abgründe der Seele und die vergeblichen Bemühungen der Willensstärke.

Im Vergleich zu Peter Mussbachs Parsifal, seit Anfang 1989 in Brüssel zu sehen, mangelt es der neuen Wagner -Inszenierung in Amsterdam an Plausibilität. Mit vergleichbaren Bebilderungen ließ Mussbach die Sehnsucht nach Erlösung aus erstarrten Verhältnissen aufscheinen, Grüber aber drosselte das Mitgefühl durch die Distanzierungstechniken so sehr, daß die intendierten Heilsbotschaften der Musik in die über ihr ausgestellte Leere liefen.

Theater dieser Art legt den Verdacht nahe, daß seine Urheber schon lange nicht mehr so richtig wissen, wohin die Fahrt geht, uns aber umso ausführlicher in ihre Reiserituale einweihen. Bis zu einem gewissen Punkt mag dies das Interesse in Beschlag nehmen. Aber dann gähnt die Langeweile.

Frieder Reininghaus