Rias-DT64: DDR-Funk als Beute

■ In der DDR gingen Freitag nacht Tausende für den „Jugendsender DT64“ auf die Straße. Erfolg: DT64 sendet vorerst weiter. Um seine Frequenzen wird vertraulich längst gefeilscht.

Rundfunkpolitik in Deutschland

Genau 18 Stunden lang mußten die in der DDR-Provinz lebenden Fans von „Jugendradio DT64“ am vergangenen Wochenende auf ihren Sender verzichten. Statt der gewohnten Mischung aus Rockmusik und links eingefärbten Beiträgen über den Alltag in der DDR dudelten ab Freitag abend, 20.00 Uhr plötzlich Hausfrauenmelodien vom Informations- und Nachrichtensender RIAS1 über den Äther. Techniker hatten auf Weisung des DDR -Hörfunkchefs Christoph Singelnstein die außerhalb Berlins liegenden Frequenzen des bisher DDR-weit sendenden Jugendradios gekappt und sie dem bis dato auf Berlin beschränkten RIAS übergeben.

Der Coup, der Tausende von empörten DT64-Hörern in Rostock, Schwerin und anderen Städten auf die Straßen trieb, in Berlin Hungerstreikaktionen auslöste und in Dresden der Grund für Straßenblockaden war, war seit vier Wochen generalstabsmäßig vorbereitet worden. Seit Monaten hatte sich keine Lösung für den existenzgefährdeten Sender abgezeichnet, erst Anfang August waren über 1.000 Mitarbeiter des DDR-Rundfunks entlassen worden. Offenbar wollte DDR-Intendant Singelnstein jetzt Fakten schaffen. Der Hörfunkchef suchte nach Partnern und fand sie ausgerechnet beim „Radio im amerikanischen Sektor“ (RIAS), über dessen Existenzberechtigung nach dem Fall der Mauer in West-Berlin heftig gestritten wird. Der Deal: DDR-Rundfunkmitarbeiter bekommen Jobs beim RIAS, gemeinsame Arbeitsgruppen von RIAS und Radio-DDR-Redakteuren sind im Aufbau. Ziel, so Singelnstein, sei ein neues nationales Rundfunkprogramm für das Gebiet der DDR, in dem das Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands journalistisch begleitet werden solle. Dieses Programm solle öffentlich-rechtlich und frei von Werbung sein. Für den auf Regionalformat gestutzten Sender DT64 sei eine „Privatfunklösung“ angestrebt, Gespräche mit dem niedersächsischen Privatsender „ffn“ haben bereits stattgefunden.

Die HörerInnen von DT64 wurden zu Protesten gegen die Abschaltung ihrer Welle aufgerufen, die von der Frequenzumschaltung völlig überraschten MitarbeiterInnen des Jugendradios forderten Klarheit über die Veränderungspläne. Intendanten von ARD-Anstalten ließen bei Singelnstein indes das Telefon heißlaufen. Sie fürchteten - wegen der Gerüchte über eine Beteiligung des ZDF am RIAS - einen Konkurrenzsender. „Ich habe einen drohenden Anruf vom SFB -Chef Günter von Lojewski erhalten“, bestätigte Singelstein. Daß nicht einmal das Medienministerium der DDR in die Umschaltungspläne eingeweiht worden war, brachte wiederum den zuständigen DDR-Minister Müller auf die Palme. Er trommelte am Samstag morgen Singelnstein, einen leitenden Redakteur von DT64 sowie den prominenten Medienexperten Konrad Weiß (Bündnis 90) zu einer Krisensitzung im Haus des Rundfunks zusammen. In der Diskussion dort habe man sich „nichts geschenkt“ erklärte Müller anschließend und verkündete am Samstag nachmittag unter dem Jubel der Belegschaft, daß die Frequenzen noch am selben abend zurück an DT64 gehen sollten. Allerdings sieht auch Müller zu einer Privatisierung von DT64 keine Alternative.

Konrad Weiß, der mit Singelnstein befreundet ist, nannte das Verhalten des Hörfunkchefs „politisch töricht“. Hier sei geltendes Recht umgangen worden. Jürgen Liepe, Staatssekretär vom Postministerium und langjähriger Mitarbeiter im Funkhaus, nahm den Intendanten dagegen in Schutz. „Dieses Haus war bisher eine Schnarchstatt!“ meinte er und interpretierte Singelnsteins Aktion als ein „Notsignal“. Hier habe einer versucht, deutlich zu machen, daß rasches Handeln erforderlich ist.

Die Probleme von DT64 sind durch die Rückkehr zum Status quo tatsächlich nicht gelöst. Das Jugendradio wird weiter mit interessierten Finanziers über eine Umwandlung zu einer privaten Sendeanstalt beraten, hieß es auf der Pressekonferenz. Ob DT64 unter solchen Umständen als DDR -weiter Sender erhalten bleiben kann, halten viele Redakteure für fraglich. RIAS-Intendant Helmut Drück bedauerte das Scheitern der Frequenzumschaltung. Eines, so der erschöpfte Singelnstein vor Journalisten, stehe fest: „Niemand weiß, wie viele der 1.600 Arbeitsplätze hier erhalten bleiben werden. Nur eines ist sicher: 1.600 werden es nicht sein.“

Claus Christian Malzahn