Lumpen, Spitzen, Leutebetrüger

■ Großes Marktplatzspektakel: Johann Dove und der Krüppel von Bremen

Am Sonnabend wird es der große Kreis auf Bremens Marktplatz sein, auf dem sie ihr merkwürdiges Gewese treiben, die sich da am Sonntagabend im magischen Kreidekreis auf „Vater“ Jähnickes Sportplatz neben dem Weserstadium eingefunden hatten:

Der Frauenchor Chorifeen zieht als graukuttiges Nonnentrüpplein dünn psalmodierend über den athletischen Grund, ein ungeheuer feister Kissenwanst über speckflaggenen Beutelhosen (der „Pfeffersack“) kriegt noch grade den Ausschnitt zugebunden von einem, dem man die Storchenbeine nebst Urschuhen in blankes Gold getaucht hat (das ist gleich Gräfin Emmas goldgieriger Bruder Benno), ein Bettler gebrechlicht so furchterregend rum wie die rumänische Zigeunerin, die ich mal ein ganzes Managerlokal das Gruseln lehren sehen habe, die Schweinemasken von Schreck blas nachblasen in glänzende Hörner und ziehen an ihren gequetschten Kommoden, Riesenflügel eines flatternden Ungeheuers werden zusammengesteckt, johlendes Volk in Spitzen und Lumpen zieht Holzkünstler Gunter Gerlachs nietenbeschlagenen Schinderkarren in den Kreis, obendrauf der überdimensionierte Stuhl vom Freiraumtheater, mit Gräfin Emma, gespielt von Judith, der Hure. Und irgendwo rhythmisiert noch die von Mauro die Girolamo geschulte „ Ordnungsmacht“ herum, Schergen im glänzenden Ornat ihrer Epauletten aus Schöpfkellen und küchengesiebten Helme.

Dieser ganze Salat aus Chören und Spielern und opulentem Kostümjux, ein 120-beiniges Massenaufgebot aus allen komödiantisch-vagantischen Speichern Bremens, generalprobt ein großes Straßentheaterspektakel. Einmal das getrennt Geprobte zusammengesetzt und dann auf den Marktplatz damit: das „Festspiel der Vaganten und Leutebetrüger“, ein historischer Mummenschanz verlegt in den September 1532. Da spielen die fahrenden Leut trotz Verbot die Sage von der Gräfin Emma und dem Krüppel, der Eroberung der Bürgerweide für die kleinen Leute und protestieren gegen den Ausschluß ihrer Nachfahren aus Stadt und Recht. Mit den Nachfahren sind auch die abgeschobenen Zigeuner von heute gemeint, die Assoziation an die bettelnde Zigeunerin war schon richtig.

„Der Krüppel von Bremen“ von 1990 steht — mit Gil Staug und „Schreck blas nach“ auch personell — in der Tradition des „Marat-de Sade“spektakels von 1987. In der Szene der Bremer Gaukler und Leutebetrüger ging die schon etwas ältere Stückidee und vier plötzlich gewährte ABM-Stellen auf wie ein Hefeteig. Seit Oktober probten die Gruppen je für sich, zuerst im „Kontorhaus“ in der Schildstraße, dann einige zusammen in Alpstedt. Bei der Generalprobe erwies sich vieles als zu lang, und natürlich ist dieser wilde Flickerlteppich weit entfernt davon zu „klappen“. Einen lumpigen Reiz hat er trotzdem schon, trotz Regenguß und vollgesogenen Rocksäumen und alledem. Daß es, wenn am Wochenende auf dem Marktplatz aufgespielt wird, nicht regnet, ist fest abgesprochen. Uta Stolle

15.9. 18 Uhr Bremer Marktplatz, 18.9., 17 Uhr Lesum, hinter Schule am Mönchsberg.