Wagen und winnen

■ Internationale Herbstakademie für Musik: „Lauten und Harfen mit Gesang“

Nur fünf Nachmittage Probenzeit hatten die DozentInnen und TeilnehmerInnen des Kurses „Lauten und Harfen mit Gesang“, um die Aufführung von Emilio de Cavalieris „Rappresentatione di Anima e di Corpo“ gemeinsam zu erarbeiten. Sie gingen das Wagnis ein, nicht von vornherein alle wichtigen Partien mit zuverlässigen Profis zu besetzen. SängerInnen, LautenistInnen und HarfenistInnen des Seminars, die sich erst Anfang der Woche kennengelernt hatten, übernahmen am Samstag in der Liebfrauenkirche wichtige Solisten-und Begleiterrollen und stellten den Chor. Nur die beiden umfangreichen Titelpartien der Seele und des Leibs wurden mit David Cordier und Lothar Littmann mit zwei zusätzlich eingeladenen Gästen besetzt.

Das Wagnis gelang. Das anderthalbstündige Konzert war in allen Momenten inspiriert und begeisternd. Das ist sicher ein Ergebnis der auf dem Seminar in der Akademie für Alte Musik geleisteten Vorbereitung, der Probenarbeit mit Stephen Stubbs und Andrew Lawrence-King. Es zeigt aber auch die gewachsene Professionalität der MusikerInnen der historischen Musikpraxis. Noch vor wenigen Jahren mußte man doch manchmal froh sein, wenn jemand auf seinem „Originalinstrument“ halbwegs über die Runden kam!

Es ist schon riskant genug, ein modernes Kammerorchester in ein paar Tagen zusammenbringen zu wollen. Viel schwieriger wird die Sache, wenn es um die Aufführung eines Werkes aus dem Jahr 1600 geht. Das Notenmaterial Cavalieris liefert — wie so oft in der Musik des beginnenden 17. Jahrhunderts — nur die Rohfassung der erklingenden Musik. Was bei einer Aufführung tatsächlich gespielt wird, muß den vorhandenen Möglichkeiten angepaßt werden: Welche und wieviele Instrumente spielen den Baß und die Akkorde, wie werden sie den Sängern zugeordnet? Die Entstehung des Konzertes aus der Seminararbeit machte es möglich, mit einer Unzahl von Continuoinstrumenten zu arbeiten. Das ist historisch sicher richtig, macht die Proben komplizierter.

Wie sind die instrumentalen Zwischenspiele zu besetzen und auszuführen? Wie kann und soll der knappe Notentext durch Improvisationen erweitert werden? Neben solchen Problemen erscheint es schon fast als Selbstverständlichkeit, daß sich die MusikerInnen mit dem Originaldruck Cavalieris auseinandersetzten, sich die Schwierigkeiten mit den alten Notenschlüsseln und anderen Problemen nicht von dem Herausgeber einer modernen Ausgabe abnehmen ließen. (Stephen Stubbs zu Beginn der Arbeit dazu lakonisch: „In dem Stück gibt es eine Menge Unklarheiten, aber wenn sie sich schon nicht vermeiden lassen, sollten wir die Unklarheiten des Originals denen einer Neuausgabe vorziehen.“) Und schließlich bietet die Musik der beginnenden Barockzeit — wenn sie mit den musikalischen Mitteln der Entstehungszeit aufgeführt wird — keine barmherzigen Möglichkeiten, Schwächen und Ungenauigkeiten zu verbergen. Der klare vibratolose Gesang zeigt im ersten Moment, ob der gemeinte Ton getroffen wurde, ob die Dreiklangskonsonanzen „einrasten“. Ein suchendes Geeier um den Zielton herum ist nicht möglich.

Emilio Cavalieri zeigte sich in seiner „Rappresentatione“ im Jahr 1600 enorm experimentierfreudig. Ob er nun den neuartigen ausdruckstarken Sprechgesang erfunden hat (seine Kollegen Caccini und Peri bestreiten das) oder die in einem bezifferten Baß abgekürzte Begleitung (War's nicht doch Caccini? Oder Viadana?), steht in den Sternen. Jedenfalls war er in Florenz und Rom immer dabei, wenn über experimentelle Musik, über Einfachheit und starke Gefühle in der Musik und über das Ideal der antiken Kunst debattiert wurde. Und wenn die Ergebnisse der Debatten in neuen Stücken ausprobiert wurden: Immerhin ist die „Rappresentatione“ das früheste noch erhaltene Werk, in dem die neuen Mittel angewendet werden.

Zum Inhalt: Das oratorienähnliche Spiel vom Dialog zwischen Seele und Leib paßte ins Klima der Gegenreformation. Die beiden sorgen sich darüber, was für ihr Wohlergehen am besten sei: natürlich läuft's am Ende auf eine Ablehnung der Versuchungen des irdischen Lebens hinaus. Aber bis dahin muß so mancher Verführung widerstanden werden. Am verführerischsten sicher das „Vergnügen mit seinen beiden Gefährten“: Im Konzert wurde ihre Aufforderung zu Tanz und Lust als Trio mit schrummelnder Barockgitarre von Tony Madigan, Stubbs und Lawrence King geboten. Ich wäre den dreien sofort gefolgt, und wenn's das Seelenheil kostet. Axel Weidenfeld