»Literatur — ein Wort mit subversivem Klang«

■ In Prenzlauer Berg startet der Literaturklub in eine neue Zukunft/ Mit neuem Konzept und möglichst ohne Subventionen

Prenzlauer Berg. Es hatte Jahre gedauert, bis die damaligen Ostberliner Behörden sich dazu durchringen konnten, den zahlreichen »Jugendklubs der FDJ« einen Literaturklub hinzuzufügen. Literatur — dieses Wort an sich hatte für die realsozialistischen Kulturzensorenohren schon einen überaus subversiven Klang. Disko, mit meist unverständlicher englischer Musik, das hatten die Herrschenden im Laufe der Jahre mitbekommen, richtet keinen ideologischen Schaden an. Doch bei dem jedermann verständlichen Wort war das ein wenig anders. Schließlich kannte man ja diese aufmüpfige Bagage, die sich Schriftsteller nannte, nur allzu gut.

Im Mai 1988 war es dann endlich soweit. Uwe Barthel, selbst »junger Autor«, bekam die Leitung des neuerbauten Klubs in der Conrad-Blenkle- Straße übertragen. Das Programm umfaßte neben Autorenlesungen Aufführungen von Theatergruppen, kleinere Musikprojekte und Kabarett. Der DDR-Schriftsteller Ulrich Berkes gründete einen Zirkel für junge Schreibende, und in dem Klub konnte — welch umstürzlerischer Akt! — jeder, der Lust danach verspürte, sein Selbstgeschriebenes vorbei an jeder Zensur dem Klubpublikum zu Gehör bringen. Neben in der DDR so bekannten Schriftstellern wie Heinz Knobloch und Ulrich Plenzdorf bekamen auf diese Weise auch unbekannte Autoren die Möglichkeit, sich einer — wenn auch durch die Räumlichkeit begrenzten — Öffentlichkeit zu stellen.

Auch war es dort möglich, deutschsprachige sowjetische Presseerzeugnisse auszuleihen, um sich so direkt über die von den Ostberliner Politbürokraten gefürchtete Perestroika Gorbatschows zu informieren. Der Literaturklub wurde in Ost- Berlin binnen kurzer Zeit zu einem Geheimtip.

Bei den damals in der DDR niedrigen Eintrittspreisen trug sich der Klub natürlich nicht selbst und wurde, wie die meisten anderen Kultureinrichtungen auch, subventioniert. Nach der Währungsunion wurde es stiller in dem direkt an der Leninallee gelegenen Klub. Bücher, die dort früher unter der Hand von Leser zu Leser wanderten, gab es nach der »Wende« in jedem Buchladen, Kabarett oder Untergrundtheater hatten längst den Hauch des Verbotenen verloren.

Und da ohnehin abzusehen war, daß spätestens zu Beginn des nächsten Jahres auch die bis dahin selbstverständlichen Subventionen wegfallen werden, machten sich die Angehörigen des Literaturklubs, die sich zu einem gemeinnützigen Verein zusammengeschlossen haben, unter ihrem Leiter Jörg Möller daran, ein neues Konzept zu entwickeln. Seit dem 5. September öffnet der Klub bereits um 15 Uhr seine Pforten — als Lesecafé. Bei Preisen, die weit unter den normalen von vergleichbaren Gaststätten liegen, will man sich darum bemühen, wieder mehr Gäste ins Haus zu holen. Eine kleine Bibliothek wurde bereits zusammengetragen, eine große Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften liegt aus, und an den Wänden gibt es regelmäßig wechselnde Ausstellungen von bildenden Künstlern zu betrachten.

Um den abendlichen Veranstaltungen als »Literaturcafé« auch weiterhin gerecht zu werden, bemühte sich Jörg Möller, einige Buchverlage als ständige Partner an sich zu binden. So wurde bereits ein Vertrag mit dem Ostberliner Verlag für internationale Literatur »Volk und Welt« unterzeichnet, der vorsieht, regelmäßige »Buchpremieren« zu veranstalten. Dazu wird bei Erscheinen eines neuen Titels der Autor zu einer Lesung in den Klub geladen, ein anschließender Buchverkauf ist eingeplant. Der Verlag übernimmt die Kosten für die Veranstaltung, die ihm gleichzeitig als Werbung dient. Darüber hinaus will der Verlag dem Klub Bücher zum Verkauf überlassen.

Eine ähnliche Vereinbarung mit dem Ostberliner »Henschelverlag für Kunst und Kultur« ist unterschriftsreif.

Bei den hochkarätigen Autoren, die für die beiden renommierten Verlage arbeiten, ist abzusehen, daß der Klub auch künftig wieder volle Kassen haben wird. Als erstes »Zugpferd« wird am 30. September der süddeutsche Lautmaler Ernst Jandl erwartet. Olaf Kampmann