„Bündnis 90“ in der DDR gegründet

■ Juristischer Coup soll Gewicht der Bürgerbewegungen in Gesprächen mit Grünen über Wahlbündnis stärken

Berlin (taz) — Im Kiez-Cafe in Berlin-Pankow trafen sich am Sonntag abend ein paar Handvoll engagierte VertreterInnen der neuen Bürgerbewegungen der DDR. Die vereinsrechtlichen Formalien fest unter den Arm geklemmt, wollten sie endlich Tatsachen schaffen: Nach monatelangen Verhandlungen waren bei den Verhandlungen um ein Wahlbündnis mit den Grünen aus Ost und West letzte Woche wieder neue Probleme aufgetaucht. Diesmal hatten die Vertreter des Neuen Forum, die bisher immer auf der Eigenständigkeit der Bürgerbewegungen beharrt hatten, einer Kandidatur auf offenen Listen der Grünen zugestimmt, sich allerdings nicht dem Votum für den Namen „Die Grünen/Bündnis 90“ angeschlossen.

Wenn aber nur unter dem Namen der Grünen kandidiert wird — wie der Vorschlag des Neuen Forums lautete —, dann geht der Hinweis auf die Bürgerbewegungen verloren. Die neueste Forderung des Neuen Forums mußte also wiederum die anderen Bürgergruppen wie Initiative für Frieden und Menschenrechte und Demokratie Jetzt auf die Palme bringen.

Da der Name „Bündnis 90“ allerdings bisher nicht geschützt ist, gab es einen einfachen Akt, das Hickhack zu beenden: Die Gründung einer politischen Vereinigung dieses Namens. Die GründerInnen in Pankow machten die Nacht durch, und am Ende stand, was die Volkskammer-Präsidentin Sabine Bergmann-Pohl braucht: Satzung, Programm und Vorstand.

Fürs erste ist der DDR-weite Vorstand mit sechs Personen von der Basis bestückt, unter ihnen Kathrin Menge (Initiative für Frieden und Menschenrechte), Christine Ziller (Demokratie Jetzt) und Claudia Hämmerling (Neues Forum). Für weitere Vorständler läßt die Satzung Platz. Sitz der Organisation soll das Haus der Demokratie in Berlin sein.

Wenn es nach diesem „Notkonstrukt“ geht, dann können die Organisationen der Bürgerbewegung in den Ländern entsprechende Landesorganisationen bilden, die die KandidatInnen für den Bundestag förmlich aufstellen. An der Listenverbindung mit den Grünen wird dabei nicht gerüttelt.

Nach der Wahl soll die gemeinsame Organisation auch eine Chance sein, die Zersplitterung zu überwinden, ohne das Organisationsmonopol der Grünen anerkennen zu müssen. Auch die West-Grünen hätten begriffen, davon waren die Gründer der neuen Organisation überzeugt, daß sie mit allen Bürgerbewegungen zusammengehen müssen.

Juristisch scheint der Coup aus Pankow wasserdicht. Denn der Name „Bündnis 90“ ist bislang rechtlich nicht geschützt. Wenn die Volkskammer-Fraktion Bündnis 90/Grüne nicht Einspruch erhebt, müssen sich die West-Grünen ab sofort an die neue Organisation wenden, wenn sie mit einer Listenverbindung mit dem Zusatz „Bündnis 90“ zur Wahl am 2. Dezember antreten wollen. Die Zeit drängt, am Donnerstag dieser Woche kommen die Vertreter der Bürgerbewegungen und Grünen aus Ost und West wieder in Berlin zusammen, die bis gestern geglaubt hatten, sie könnten über den Namen „Bündnis 90“ verfügen.

Der Bonner Bundesvorstand der Grünen war gestern noch nicht über die neue Entwicklung unterrichtet. Auch in alle Etagen des Hauses der Demokratie waren nähere Informationen über die Pankower Initiative vom Sonntagabend noch nicht vorgedrungen. Klare Worte fand ein Mitarbeiter der Pressestelle der Grünen Partei: Die Initiative wolle die Verhandlungen über ein breites Bündnis zu den wahlen am 2. Dezember sprengen. Bei der letzten Gesprächsrunde sei die Gründung einer Wahlpartei allgemein abgelehnt worden. Bei den Gesprächen am Donnerstag, so der Pressesprecher weiter, sei zu vermuten, daß die anderen Organisationen gegen diese Initiative entsprechend vorgehen. K.W./b.s.