SchülerInnen: „Flucht ist keine Lösung“

■ Große Demonstration gegen Chemiewaffen-Transporte / Faule Eier auf Bildungssenator Scherf

„Das Giftgas kommt — wir haben Angst!“ Als Transparentparole war dieser Satz gleich mehrmals zu lesen, als gestern mittag rund 1.500 Bremer SchülerInnen gegen den bevorstehenden Abtransport der US-amerikanischen Chemiewaffen demonstrierten. Morgen früh gegen vier Uhr werden die ersten beiden Züge mit den Giftgas-Granaten Bremen passieren.

Doch so groß wie auf den Transparenten scheint die Angst der SchülerInnen denn doch nicht zu sein. „Ach, wir demonstrieren hier nur so, damit wir früher nach Hause kommen“, gesteht ein Zehnjähriger aus der Gesamtschule Mitte, „normalerweise hätten wir erst um drei Uhr Schluß, aber die Demo dauert ja nur bis halb zwei.“ Und „Spaß macht das hier ja auch“, ergänzt sein Klassenkamerad. Im Unterricht haben sie das Thema „Giftgastransport“ ausführlich behandelt, wegfahren wollen sie jetzt aber nicht. „Ich bleibe hier, denn eigentlich hab ich nicht soviel Angst“, sagt der Schüler, „vielleicht passiert ja gar nichts — hoffentlich auf jeden Fall.“

Auch einige LehrerInnen waren gleich mitgekommen. In der Schule an der Bördestraße zum Beispiel gab es ab halb zwölf Schulfrei wegen Demonstration. „Die ganze Klasse ist hergerannt. Was dabei rauskommen soll? — Da hab ich auch keinen Plan“, sagt einer der Schüler. Immerhin „interessant“ sei so eine große Demonstration.

Und aufregend wurde es auch noch, als der Lautsprecherwagen vor der Bürgerschaft schließlich Giftgasalarm simulierte. So eine Sirene bringt den Bauch in Wallung. Wer dann bleich wird, wie die vielen kalkfarbenen Totengesichter im Demonstrationszug, kann nicht auf Rettung hoffen. „Ich kann nicht helfen“, trug die als Schwester verkleidete Schülerin demonstrativ als Schild unter der Binde mit dem roten Kreuz.

Selbstorganisiert sammelten SchülerInnen während der Demonstration TeilnehmerInnen für eine Verlegung des Unterrichts in Hamburger Turnhallen. „Wir fordern vom Senat Unterstützung bei der Raumsuche und beim Transport“, forderte ein Schüler.

„Scherf, komm raus!“, schallte es zum Abschluß der Kundgebung über den Marktplatz. Der Bildungssenator sollte verbindlich erklären, daß er in der Woche der Giftgas-Transporte nicht nur wie versprochen die Abwesenheit vom Unterricht akzeptieren, sondern auch keinen neuen Unterrichtsstoff und keine Klausuren in den Schulklassen dulden werde.

Doch dazu kam Scherf nicht mehr. Kaum hatte er ein paar Schritte vor die Tür der Bürgerschaft gesetzt, stand er schon unter einem Hagel fauler Eier und flüchtete sich schleunigst hinter die Glastür zurück. „Scherf, komm wieder raus!“, forderten ganz unbeeindruckt die SchülerInnen. Wie hatte doch kurz zuvor ein Redner des „Instituts für Erwachsenenbildung“ gesagt: „Flucht ist keine Lösung, denn Flucht ist Reaktion, Kampf ist Aktion.“ Ase