Im Bauch des Biests

■ John Hillcoats Debüt „Ghosts of the Civil Dead“, 22.45, West 3

Natürlich kennen wir diese einschlägigen Gefängnisfilme, in denen brennender Müll und Toilettenpapier durch die Gänge flog. In denen rebellierende Gefangene ihre Arme durch die Eisengitter steckten oder James Cagney beim Essenfassen auf die Tischreihe sprang und in einer unvergessenen Sequenz Amok lief. Damit ist jetzt Schluß. „We are the future of containment“, heißt es in einem zynischen Werbespott am Anfang von „Ghosts of the Civil Dead“, dem ersten Film über die sogenannten „New generation maximum security prisons“, die in den USA und Australien seit Anfang der 80er mit dem Ziel eines humaneren Strafvollzugs in Betrieb sind.

Für eine realistische Darstellung dieser neuen Sicherheitstrakte haben Regisseur John Hillcoat und Drehbuchautor Evan English dreieinhalb Jahre recherchiert. Als Vorlage dienten Bücher wie In the Belly of the Beast von John Henry Abbot, einem Exhäftling eines New Generation Prison in Marion, Illinois. Von den 90 Schauspielern sind nur 22 Professionelle. 50 haben selbst gesessen. Gedreht wurde in einer ehemaligen Flugzeugfabrik. Das Gefängnis sieht aus wie eine Mischung aus einer futuristischen Raumstation und einem von Ikea eingerichteten Schnellrestaurant.

Drinnen, in dieser aseptisch-abgeschlossenen Welt, leben Menschen. Schwerverbrecher, Lebenslängliche. Die Häftlinge tragen blaue und orangene Overalls, die Wärter Krawatten. Gedämpfte Lautsprecherstimmen regeln den Tagesablauf. Schreie ertönen nur von den Pornovideos. Obwohl das Thema Homosexualität nicht ausgespart wird, fehlt die obligatorische Duschszene, wo nackte Männer Gelegenheit haben, sich abzuschätzen und anzufreunden. Denn Sexualität ist nicht das geeignete Mittel, um die Zeit kürzer zu machen. Statt dessen existiert ein geduldeter Drogen-Schwarzmarkt. Alles dreht sich um Drogen.

Die abgeschlossene Welt funktioniert in jeder Hinsicht wie eine im Vergrößerungsglas betrachtete „Zelle“ der realen Gesellschaft. Wärter und Gefangene haben ein geduldetes Selbstverwaltungssystem ausgeprägt. Die einzig gültige Regel ist die der Gewalt. Wer zuviel Ärger macht, stirbt. Diese Regel wird schweigend eingehalten. Verbale Sprache ist ein Relikt der Außenwelt. Die Außenwelt existiert nur noch als Fiktion. Der Knackpunkt des ganzen Systems ist die unvermeidliche Eskalation von Gewalt. Wird ein Wärter umgebracht, so wird dieser Zwischenfall als persönlicher Zwist unter den Tisch gekehrt, gewissermaßen als organische Selbstregulierung des Systems begriffen. Ab mehr als einem Toten taucht das Rollkommando auf, um den Laden aufzumischen. Ein kühl geplanter Mechanismus, der verhindern soll, daß das System nicht aus seinem künstlichen Gleichgewicht gerät. Das allzu offensichtliche Spiegelverhältnis zwischen Innen- und Außenwelt darf nicht an die Öffentlichkeit dringen.

John Hillcoat hat sein Debüt wie einen Dokumentarfilm gedreht. Im Zentrum steht allein der Mechanismus dieses neuen Strafvollzugssystems. Das zurückhaltende Spiel der Akteure ist nicht darauf ausgelegt, persönliche Geschichten zu erzählen oder Identifikationen zu bewirken. Das stumpfe Einerlei wird lediglich von monotonen Monologen untermalt: „I was 16 when they put me into prison. Emotionally I am still 16.“ Wenn am Ende der Eindruck ensteht, die Häftlinge wären Versuchsobjekte in einem Labor, so ist dies kein Zufall. Manfred Riepe