Mother's Little Helpers

■ Eine Anthologie des Frauenrausches

Die Geschichte des Rausches ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst, und der erste angetörnte Mensch war eine Frau. „Als die Schlange (Schamane) Eva (das weibliche Element) mit dem Apfel (heilige Pflanze/bewußtseinsverändernde Droge) antörnte, war das Ergebnis nicht geringer als der ,Sündenfall'.“ Fortan wurden Frauen immer wieder mit Drogen, Rausch und deren gefährlichen, weil von seiten der Mächtigen nicht kontrollierbaren Auswirkungen in Verbindung gebracht, man hat die Drogen mit mystischen und intuitiven Dimensionen assoziiert, Frauen haben als mythologische Göttinnen, historische Königinnen, Seherinnen, Schamaninnen, Hexen, Alchimistinnen und als normale Konsumentinnen in Wäldern, Kräutergärten, Tempeln, Palästen und Küchenlabors die psychoaktive Connection gesucht und gefunden, aber eine Geschichte der Rauscherlebnisse von Frauen gibt es nach wie vor nicht.

Ob es sich um die heilende und helfende Wirkung von Kräutern und Drogen handelte, die sich zum Beispiel Hebammen und Schamaninnen zunutze machten oder um das Wissen um Rauschpflanzen und die Beherrschung der Küchenkünste ging — Frauen, die sich öffentlich zu Drogenerfahrungen bekannten, wurden viele Jahrhunderte lang dafür mit Verfolgung und Vernichtung bestraft. Ihr Ruf als „Giftmischerinnen“ ist lang und reicht von der mystischen Circe über Medea, Locusta, Agrippina, Lucretia Borgia bis hin zu Catherine de Médici.

Mit der hier vorliegenden Anthologie, die versucht, anhand von schriftlichen Dokumenten, in denen Frauen über ihre Erfahrungen im Gebrauch psychoaktiver Drogen berichten, „eine Geschichte bewußtseinsverändernder und auch suchtbildender Drogen zu präsentieren“, wird nun zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum den berauschten Frauen eine Rehabilitierung zuteil. Der bewußte Umgang mit Drogen war für viele mutige Frauen auch ein Angehen gegen soziale Tabus. Die Texte erzählen von gesellschaftlichen Erfahrungen, die die ersten Frauen machen mußten, die für sich das Recht herausnahmen, in aller Öffentlichkeit Alkohol zu trinken, Tabak zu rauchen oder gar in Opiumhäuser zu gehen, berichten von staatlichen Repressalien, von vielfältigsten Anwendungsgebieten, vom bewußten Drogengenuß zur „privaten Erbauung“, aber auch vom kriminellen Angefixtwerden.

Ganz nebenbei wird man sein Vorurteil revidieren müssen, daß Frauen keine anspruchsvolle Drogenliteratur geschrieben hätten. Wer bisher qualitativ hochwertige Rauschliteratur mit Thomas De Quincey, Charles Baudelaire, Jean Cocteau, Aldous Huxley, William Burroughs oder Carlos Castaneda in Verbindung gebracht hat, muß diese Reihe spätestens nach der Lektüre dieses Buches wenigstens um George Sand, Anais Nin, Diane di Prima, Lenore Kandel, Anne Waldman und Susan Sonntag erweitern, die sich alle offen zum Drogenkonsum bekannt haben.

In allen Dokumenten wird deutlich, „daß psychoaktive Drogen zeitweilig, und häufig sehr dramatisch, die Wahrnehmung der Realität durch das menschliche Nervensystem verändern“. Das kann negative und positive Folgen haben. Für eine ganze Reihe von Avantgardistinnen war der Umgang mit Drogen eine Selbstverständlichkeit, und man ist geneigt zu schlußfolgern, daß ihre herausragenden Leistungen in direkter Verbindung mit den bewußtseinsbewegenden Substanzen stehen. Als Beispiele seien hier nur die Baronin Else von Freytag-Loringhoven genannt, die bereits in den zwanziger Jahren selbstentworfene Mode getragen hat, die heute erst salonfähig ist. Anita Berber, die unter Einfluß von Kokain das Publikum mit ihren Tänzen des Lasters, des Grauens und der Ekstase begeistert hat. Isabelle Eberhardt, die Pionierin unter den Weltenbummlerinnen, die nach Herzenslust zechte und kiffte. Oder Sarah Bernhardt, die göttliche Schauspielerin, die mit Hilfe von Opium ihrer Krebskrankheit auszuweichen und ihre Leistungen zu forcieren versuchte.

Obwohl man den bewußten und verantwortlichen Umgang mit Drogen nicht zur Regel machen kann, der Drogenkonsum mittlerweile eher beängstigende Ausmaße angenommen hat, läßt sich doch eines ganz klar feststellen: Es ist unmöglich, „Drogen, die eine Flucht, Sinnesverstärkungen, Steigerung der Kreativität und ein Gefühl der Transzendenz hervorrufen können, zu unterdrücken“. Nichtsdestotrotz haben die Vertreter der Macht immer wieder mit allen Mitteln versucht, den Drogenkonsum zu bekämpfen. Seit 1914 zum ersten Mal ein amerikanischer Präsident einen „Krieg dem Rauschgift“ angezettelt hat, sind vor allem in Ländern der Ersten Welt die Ausgaben zur Bekämpfung des Drogenkonsums kontinuierlich erhöht worden. Heute sind in diesen Ländern die Etats zur Aufstockung der Polizeiapparate um ein Vielfaches höher als die Mittel für die therapeutische Unterstützung von Drogenabhängigen.

William Burroughs hat in seinem Essay Mein Rausch gehört mir auf die verherrenden Auswirkungen dieser „Milliarden für unwirksame Strafverfolgung, kein Cent für wirksame Behandlung“-Politik hingewiesen. In den USA hat Reagans „Just Say No“-Kampagne zum systematischen Abbau bürgerlicher Freiheiten, zur Erziehung zum Denunziantentum, zur Gutheißung von Kontroll- und Bespitzelungsmaßnahmen und zur Erzeugung eines vollkommen ungerechtfertigten Klimas von Angst und Hysterie geführt.

Wie clever und perfide Politiker die zunehmende Aufrüstung ihres Polizeiapparates vor ihren Wählern rechtfertigen, zeigen am deutlichsten die Aussagen dreier bundesdeutscher Innenminister. „Für mich hat der Kampf gegen Rauschgift denselben Stellenwert wie der Kampf gegen Terrorismus.“ (Baum, 1979) „Für mich hat der Kampf gegen Rauschgift denselben Stellenwert wie der Kampf gegen den Terrorismus.“ (Zimmermann, 1983) „Der Kampf gegen Drogen ist eine noch größere Herausforderung als der Kampf gegen den Terrorismus.“ (Schäuble, 1990)

Wie es scheint, frißt der Wähler alles. Es ist nur eine Frage der scheinbaren Zusammenhänge. Ist der Staatsfeind Nummer eins aus den Schlagzeilen verschwunden, sucht man sich halt schnell einen neuen. Eine wirklich ganz simple Taktik, die paradoxerweise viele nicht zu durchschauen scheinen. Angesichts dieser Vermutung wünscht man sich fast, viel mehr Menschen würden Drogen nehmen, wenn es stimmt, daß man dadurch, wie das scheinbar bei Billie Holiday der Fall war, zu folgender Fähigkeit gelangt: „Ich habe gelernt, Unannehmlichkeiten zu wittern.“ Wolfgang Rüger

Cynthia Palmer/Michael Horowitz/Ronald Rippchen (Hg.): Tänzerinnen zwischen Himmel und Hölle, Grüner Zweig, 280 Seiten, 25 DM.