Gorbatschow zieht den Schatalin-Plan vor

■ Während der Sitzung des Obersten Sowjet neigen sich die Sympathien zum radikaleren Wirtschaftsreformprogramm

Moskau (afp/taz) — Heftige Diskussionen im sowjetischen Parlament haben gestern zur Vertagung der Entscheidung über ein neues Wirtschaftsprogramm geführt. Offensichtlich steuert Regierungschef Nikolai Ryschkow mit seinen Vorstellungen einer Niederlage entgegen. Bisher ist es nicht gelungen, das von ihm entwickelte Wirtschaftsprogramm und den radikaleren Schatalin-Plan miteinander zu vereinbaren. Doch gerade das hatte Gorbatschow von Ryschkow verlangt. So sollte nur noch der überarbeitete Entwurf veröffentlicht und diskutiert werden. Nachdem Ryschkow mit leeren Händen vor das Rednerpult getreten war und sogar eine Abstimmung der beiden konkurrierenden Programme verlangte, die bisher kein Abgeordneter im Wortlaut kennt, ließ Gorbatschow überraschenderweise Sympathien für den radikaleren Entwurf von Schatalin erkennen. Wörtlich erklärte er: „Wenn Sie mich fragen, muß ich sagen, daß ich den Schatalin- Plan vorziehe.“ Doch wehrte sich der Präsident dagegen, den Ryschkow- Plan veröffentlichen zu lassen. Nach heftigen Diskussionen setzten sich die Abgeordneten mit ihrem Wunsch durch, beide Pläne einzusehen.

Das Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Stanislaw Schatalin, kündigte an, heute sollten den Abgeordneten sogar vier Dokumente vorgelegt werden: das Regierungsprogramm, der sehr umfangreiche Schatalin-Plan, eine Zusammenfassung des Plans, und eine von dem Wirtschaftsexperten Abel Aganbegjan ausgearbeitete Vorlage, eine Synthese aus 120 Vorschlägen, die der Regierung unterbreitet worden waren. Ryschkow nannte die bestehenden Differenzen „sehr schwerwiegend und gefährlich“, ein Kompromiß sei unmöglich. Die Ankündigung, die Preise zu verdoppeln und teilweise sogar zu verdreifachen, hatte vor drei Monaten bereits zu Panikkäufen geführt. Schatalin, der gemeinsam mit 12 Wirtschaftsfachleuten das Alternativprogramm entwickelte, setzt Entmonopolisierung und Privatisierungen an die erste Stelle der Reform. Um soziale Spannungen zu vermeiden, soll erst anschließend ein realistisches Preis-Waren-Verhältnis eingeführt werden. Ryschkow gagegen beharrt auf den Preiserhöhungen vor allem im Hinblick auf die bedeutende Erhöhung des Haushaltsdefizits und will bei den Privatisierungen langsamer vorgehen. Das Haushaltsdefizit wird voraussichtlich mit 130 Milliarden Rubel nächstes Jahr doppelt so hoch ausfallen wie 1990. Ryschkow erklärte weiterhin, die Reform hänge hauptsächlich vom zukünftigen Unionsvertrag ab. er