Ex-Zwangsarbeiter scheiterte an SozialrichterInnen

■ Gericht reichen Aussagen von Oleg B. und seiner Frau nicht / Keine Versorgungsrente wegen „chronischer Bronchitis“

Oleg B. ist 67 Jahre alt, wohnt in Bremen und leidet an „chronischer Bronchitis“. Das sieht nicht nur er so, das sagen auch alle Gutachter übereinstimmend. Das zweifelt auch kein Bremer Gericht an. Doch worin lag die „Initialzündung für die chronische Bronchitis“? In Oleg B.'s Zwangsarbeiterdasein im Bremer Lager „Riensberg“, wie Oleg B. selbst es sagt? Oder irgendwann in der Nachkriegszeit? Über diese Frage bildete sich das Bremer Landessozialgericht vergangene Woche seine ganz eigene Meinung und verweigerte Oleg B. einen Anspruch nach dem „Bundesversorgungsgesetz“.

Für Oleg B. gibt es keinen Zweifel, seit wann er krank ist: Seit dem Winter 1942/43. Im August 1942 war er als 19jähriger ukrainischer Bauernsohn von der Feldarbeit weg verschleppt worden. Und weil es August war, war er nur dünn bekleidet gewesen, hatte er noch nicht mal Schuhe an gehabt. Die nächsten zwei Monate vegetierte er in Güterwaggons gepfercht. Eine zweimonatige Odyssee ins Deutsche Reich, die viele Ukrainer nicht überleben sollten. Angekommen in Bremen, wurde Oleg B. für Schwerstarbeiten eingesetzt. Er schleppte zwangsweise Kohlensäcke für den Händler Ratjen und fühlte sich „erbärmlich“. Wer gesundheitlich nicht durchhielt, lief Gefahr, in ein Vernichtungslager zu kommen.

Zwei Jahre lang, bis Kriegsende, „wohnte“ Oleg B. im Lager „Riensberg“. Umzäunt, bewacht, mit zwanzig Menschen in einem verlausten Raum. Hier überstand Oleg B. auch den Kriegswinter 42/43 — und bekam zum ersten Mal „Bronchitis“.

Nach dem Krieg versuchte Oleg B. auszuwandern, Doch die kanadischen Behörden verweigerten das Einreisevisum. Oleg B.s Gesundheitszustand sei zu schlecht.

Heute hat Oleg B. zu keinem der über tausend Mithäftlinge mehr Kontakt. Die anderen sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt, ausgewandert, verschollen, tot. Aus diesem Grund konnte Oleg B.s Anwalt Bernhard Docke dem Gericht auch keine „lebenden Augenzeugen“ über die Zustände im Lager „Riensberg“ präsentieren. Genauso wenig konnte Oleg B.'s Aussage durch ärztliche Dokumente aus der Lagerzeit belegt werden, denn im Zwangsarbeiterlager „Riensberg“ arbeiteten keine ÄrztInnen.

Schon im Juli 1982 hatte Oleg B. beim Versorgungsamt Bremen den Antrag gestellt, seine „chronische Bronchitis“ als „Versorgungsleiden“ anzuerkennen. Doch 1984 wies das Bremer Sozialgericht unter Vorsitz von Richterin Kannowski B.'s Anspruch ab. Begründung: Oleg B.'s Leiden beruhe nicht auf, wie es im Gesetz heißt: „schädigenden Vorgängen, die in Folge einer mit einer zwangsweisen Verschleppung einhergehenden Gefahr eingetreten sind.“ Mit anderen Worten: Das Leben im bremischen Zwangsarbeiterlager sei nicht so schlecht gewesen, als daß man von 'einer besonderen Gefahr' für die Zwangsarbeiter hätte reden können. Oleg B. legte Berufung ein.

Das Landessozialgericht sprach letzte Woche, nach sechs jährigem Verfahren, das Urteil. Im Gegensatz zu Richterin Kannowski im Jahr 84 billigte der der Kammer des Landessozialgerichts vorsitzende Richter Wendt Oleg B. auch zu, daß er als Zwangsarbeiter im bremischen Lager „Riensberg“ einer „besonderen Gefahr“ für Leib und Leben ausgesetzt gewesen sei. Doch Oleg B.s Ansprüche nach dem „Bundesversorgungsgesetz“ wollte das Landessozialgericht dennoch nicht anerkennen. Begründung: Oleg B. könne den Beweis nicht führen, daß seine „chronische Bronchitis“ tatsächlich in den Jahren 42 — 45 entstanden sei. Seine eigene Aussage reiche da nicht, und die seiner Ehefrau auch nicht.

Eine Revision ließ das Gericht nicht zu. Damit ist für Oleg B. jeder Rechtsweg ausgeschlossen. Und damit bleibt die Summe, die ihm aus dem Bremer Härtefonds einmalig gewährt worden ist, die einzige Entschädigung — für Verschlepppung und Zwangsarbeit. Die Summe betrug 4.000 Mark. Barbara Debus