Intensiv und vertrauensvoll

■ Barbara Riedmüller zur Neustrukturierung der Sozialwissenschaften DOKUMENTATION

Die Senatorin für Wissenschaft und Forschung, Barbara Riedmüller, schrieb uns folgenden Brief:

Nachdem Sie das Flugblatt, den sogenannten »OSI- Comic«, veröffentlicht haben, um auf diese Weise eine Debatte zu beginnen, möchte ich dazu Stellung nehmen. Als Senatorin für Wissenschaft und Forschung unterstütze und fördere ich den Aufbau eines sozialwissenschaftlichen Studienganges an der Humboldt-Universität aus mehreren Gründen. Mit dem Zusammenwachsen von West- und Ost-Berlin kann eine differenzierte Hochschul- und Forschungslandschaft entstehen. In einer Gesamtberliner Hochschullandschaft bietet sich ein arbeitsteiliges Konzept auch aufgrund der räumlichen und fachlichen Nähe an. Auch aus finanziellen Gründen ist eine solche Kooperation in Lehre und Forschung sinnvoll und notwendig.

Neben der Curriculumskommission »Sozialwissenschaften« arbeiten Vertreter und Vertreterinnen der Freien Universität und der Humboldt-Universität in Rechts- und Wirtschaftswissenschaften zusammen. Während die Arbeit dort — trotz einiger Schwierigkeiten — erfolgreich abgeschlossen wurde, ist dies in den Sozialwissenschaften noch nicht geschehen. Dies steht sicherlich in engem Zusammenhang mit der Rolle der Sozialwissenschaften in der Vergangenheit.

Vordringlich muß die überregionale Anerkennung der Humboldt-Universität gewährleistet werden. Die Humboldt-Universität muß auch für Studierende in den Geistes- und Sozialwissenschaften wieder attraktiv werden.

Die Humboldt-Universität darf nicht in den Ruf des Ettikettenschwindels kommen und muß die Vergangenheit als SED-Hochschule glaubwürdig hinter sich lassen. Lehrende, Studierende und die hochschulpolitisch Verantwortlichen müssen sich dafür einsetzen. Ich befürworte als Berliner Wissenschaftssenatorin daher auch eine Durchmischung des Lehrkörpers. Die Zusammenarbeit der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Ost und West muß gefördert werden. Es geht jedoch nicht darum, anerkannte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der DDR rücksichtslos zu verdrängen.

Die genannten Gründe sprechen auch gegen eine voreilige Neugründung eines politikwissenschaftlichen Studiengangs. Politikwissenschaft ist nicht als Nachfolgedisziplin des Marxismus-Leninismus definierbar. Es gibt eine Summe von Theorien und Methoden, die disziplinär vertreten sein müssen. Ein solcher Studiengang muß überregional vergleichbar sein. Er sollte nicht in Konkurrenz zum Otto-Suhr-Institut der Freien Universität institutionalisiert werden — auch aus finanziellen Gründen. Es gibt gegenwärtig in der DDR die Tendenz, Studiengänge zu gründen, ohne an die Frage der Finanzierbarkeit zu denken.

Darüber hinaus entspricht es nicht der Realität, wenn das Institut für Politikwissenschaften an der Humboldt- Universität per se unbelastet dargestellt wird. Der Direktor des politikwissenschaftlichen Instituts ist von Bildungsminister Prof. Hans-Joachim Meyer nur vorläufig in dieses Amt bestellt worden. In diesem Zusammenhang erscheint es auch bezeichnend, daß der Rektor der Humboldt-Universität, Prof. Heinrich Fink, noch keinen Prorektor für die Geistes- und Sozialwissenschaften finden konnte, der politisch nicht belastet ist.

Abschließend möchte ich betonen, daß weder ich noch die Mitarbeiter aus der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung eine aggressive Position gegenüber den Beteiligten an der Humboldt-Universität einnehmen. Im Gegenteil, alle arbeiten intensiv und vertrauensvoll zusammen. Die schwierige Phase der Neu- und Umstrukturierung muß produktiv — gemeinsam — gestaltet werden.