Einfühlsame Dringlichkeit

■ „Tödliche Romanze“, Di., 11.9., ARD, 23.00 Uhr

Langsam fährt die Kamera auf die dicken Brillengläser des Mannes. Die Worte aus seinem Munde klingen so wenig kitschig wie pathetisch, als er sagt: „Der Tisch des Todes diente den beiden als Liebeslager.“ Gemeint ist der Tisch des KZ-Arztes Josef Mengele, der hier tagsüber seine Menschenversuche praktizierte, während des Nachts sich der Pole Edek Galinski und die Jüdin Mala Zimetbaum liebten. Der alte Mann, der das erzählt, selbst dem Holocaust entkommen, ist seltsam ungerührt, so als habe er das alles tausend Mal durchlebt, und das hat er wohl auch.

So ungeheuerlich der Satz auch klingt, so bringt er doch das Problem des Filmes auf den Punkt. Denn wie kann man die zur Legende gewordene Liebe der beiden vergegenwärtigen? Eine Liebe, die selbst denjenigen, die unmittelbal im Lager dabei waren, als Wahnsinn erschien.

Edek, ein Pole, war jung, als er ins Lager kam. Wir waren die ersten, sagt sein Freund. Im Lager reifte er zu einem mutigen Mann heran und sah gut aus. Mala kam aus Belgien, eine Persönlichkeit. „Ich bin verliebt, und ich werde geliebt“, erzählt sie einer Lagerinsassin. Trotzdem ist für sie das Gas allgegenwärtig, denn sie weiß, als Jüdin hat sie keine Überlebenschance. Und so nimmt der Plan zur Flucht Gestalt an. Sie gelingt, doch die beiden werden von einer Streife entdeckt und kommen ins KZ zurück, wo sie zum Tode verurteilt werden. So wie ihre Liebe ein Aufstand der Kreatur gegen die unmenschliche Vernichtungsmaschinerie war, so wird ihr Kampf um einen menschlichen Tod zum Zeichen eines Aufbegehrens, das die Tausenden im Lager tief beeindruckt.

Denn während Edek, schon mit der Schlinge um seinen Hals, versucht, den Zeitpunkt des Todes selbst zu bestimmen, durchschneidet sie sich die Pulsadern, um dem Gas zu entgehen. Wie da die Gestapo und ihre Gehilfen, die Kapos, versuchen, den vorzeitigen Tod der Verurteilten zu verhindern, dieses Detail gehört zum Eindrucksvollsten dieser Geschichte.

Lange, ruhige Kamerafahrten entlang des tödlichen Lagerzaunes, die Fotos der beiden aus der Häftlingskartei, ihr Steckbrief, der per Telegramm nach ihrer Flucht verschickt wurde, zwei Büschel Haare, die Edek seinem Henker kurz vor dem Tode übergibt, das sind die spärlichen Reste, die die Liebe und den Tod des Paares augenfällig machen sollen. Hier aber zeigt sich die Crux dieser einfühlsamen polnischen Dokumentation.

Denn die Bilder des Vernichtungslagers sind bekannt, die Berge von Menschenhaar, die zerschlagenen Brillen all der Tausenden, die ins Gas mußten, sie haben, so scheint es mir, durch das ständige Wiederholen eine gewisse inflationäre Entwertung erfahren.

Und doch, die einfühlsame Leichtigkeit des Beitrages basiert nicht nur auf den Aussagen der Zeitzeugen, die die Unmenschlichkeit eines Lebens vor den rauchenden Schloten des Krematoriums beschreiben, sondern auch auf den Bildern, die die Kamera in und um das Lager eingefangen hat. Dazu die Musik von Schubert, sie ist so unmelancholisch und wenig schwer wie der ganze Film. Karl-Heinz Stamm