Oberste Fläche der Realität

■ Über Robert Franks „Hunter — Ruhrgebiet Herbst 1989“

Viele halten ihn für einen der bedeutendsten zeitgenössischen Fotografen, eine Legende zu Lebzeiten. Anderen sagt sein Name gar nichts. Während der Dreharbeiten zu einem seiner Filme trifft er auf den Straßen von Downtown New York eine Gruppe junger Fotografie- Studenten, denen es selbst nach Preisgabe seines Vornamens nicht gelingt, seine Identität zu erraten: Robert Frank. Seit 1958, seit dem Erscheinen seines epochemachenden Fotobuchs Die Amerikaner steht der Name des heute 65jährigen für ein sprödes und sich Klassifizierungen wie kommerzieller Vereinnahmung entziehendes fotografisches und filmisches Werk. Hinter den wechselnden Ausdrucksformen steht als durchgehende Haltung Robert Franks unbestechlich nüchterner Blick, dessen Lebendigkeit sich nie hinter verfestigten Formen, schönen Fotos oder Filmen versteckt.

Ein Jahr nach dem zusammen mit Rudy Wurlitzer gedrehten Road-Movie Candy Mountain (mit Tom Waits, Dr. John, Leon Redbone u.a.) und der Neuauflage seines anderen Fotobuchklassikers The Lines of my Hand hatte nun Hunter — Ruhrgebiet Herbst 1989 deutsche Kinopremiere in Duisburg. Die Präsentation des 36minütigen Films zusammen mit Pull my Daisy gibt zudem die rare Gelegenheit, Franks gemeinsam mit Alfred Leslie dreißig Jahre zuvor gedrehtes Debüt zu sehen. Pull my Daisy ist der Film der Beat Generation, authentisches Denkmal einer vergangenen Subkultur mit Allen Ginsberg und Peter Orlovski. Zu den schwarzweißen Bildern einer nach dem Theaterstück The Beat Generation von Jack Kerouac inszenierten Handlung spricht und lautmalt Kerouac mit mitreißender Virtuosität auf der Tonspur des Films.

Gegenüber der Überzeugungskraft und formalen Stringenz der 28 Minuten von Pull my Daisy ist der von der Kulturstiftung Ruhr/Kinemathek im Ruhrgebiet und dem WDR produzierte Hunter ein lockeres Patchwork aus Film und Video, Farbe und Schwarzweiß, inszenierten Szenen und dokumentarischen Aufnahmen. Entstehungsgeschichte und Inhalt des Films: Ein Amerikaner durchstreift — in Anspielung auf Kafkas Jäger Gracchus — das Ruhrgebiet.

Man kann jedoch von einem nur mehrere Wochen dauernden Aufenthalt in Deutschland nicht die Tiefe des Blicks erwarten, die Franks Suche nach Wahrheit auszeichnet. Daß es dem seit 1947 in den USA und Kanada lebenden gebürtigen Schweizer gelingt, im Interview mit einem Sparkassenangestellten den Geist deutscher Pedanterie und in Gesprächen mit türkischen Jugendlichen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus der Deutschen herauszustellen, — dazu bedarf es keiner großen Kunst sokratischer Fragestellung. Hier ist nur an der obersten Fläche der Realität gekratzt worden. Frank ist sonst ein Meister, der in seinen amerikanischen Filmen immer wieder die Finger auf die Wunden des sozialen und privaten Schicksals der Menschen gelegt hat. Er hat sich davon auch selbst nicht ausgenommen, wenn er in den Conversations in Vermont (1969) sich als Vater den Kindern seiner gescheiterten Ehe zur Diskussion stellt, der später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Tochter und dem drogenabhängigen und schizophrenen Sohn, der in Pull my Daisy den kleinen Jungen spielt. Axel Schmidt

„Pull my Daisy“, „Conversations in Vermont“ und „Hunter“ werden Ende September auch beim Filmfestival NRW/Köln zu sehen sein, und in der Folge im Verleih „Der andere Blick“ durch kommunale Kinos und einschlägige alternative Abspielstätten ziehen.