Gehversuche einer Eurogewerkschaft

Kleinlichkeit und die Unfähigkeit, alte Gräben zuzuschütten, verhindern gemeinsame Antworten auf die Multis  ■ Aus Brüssel Hortense Hörburger

Das Ereignis sollte, schon seiner Erstmaligkeit willen, eine neue Bewegung einleiten: An die 17.000 GewerkschafterInnen hatten sich per Bus, Sonderzug oder Charterflugzeug zu einer Demonstration in Brüssel zusammengefunden, die den Abschluß einer Aktionswoche „Für ein soziales Europa“ bildete.

Dennoch: Die Zahl der TeilnehmerInnen an der Demo vom 18.0Ktober 1989 war, gemessen an den fast 100 Millionen organisierten ArbeitnehmerInnen in Westeuropa, eher mickrig: es hätten wesentlich mehr sein können, es hätte das Signal eines kraftvollen Neuanfangs werden können — wenn die nationalen Gewerkschaften mehr Transportmittel zur Verfügung gestellt hätten. Doch es regierte, wieder einmal, Kleinlichkeit; die Prioritäten wurden, so gut es geht, falsch gesetzt.

Dabei war nicht nur die Kundgebung ein Novum, sondern auch die vorangegangene Aktionswoche, eine Konferenz in Oostende von rund 800 BetriebsrätInnen aus ganz Westeuropa, auf der es um Fragen der Mitbestimmung, der Arbeitsbedingungen im Binnenmarkt und über die ArbeitnehmerInnenvertretung bei der Aus- und Weiterbildung ging. Hier zeigte sich, daß die GewerkschafterInnen im Gegensatz zu früher gelernt hatten, auch die Sichtweisen anderer zu akzeptieren. Die Ablehnung der deutschen Mitbestimmung, erkannte z.B. der Internationale Sekretär der französischen CFCT, Roger Brisch, sei ehedem „stark ideologisch begründet“ gewesen; da habe es „große Annäherungen“ gegeben. Dazu nötig ist umgekehrt aber auch eine Beendigung bundesdeutscher Aversion gegen die Zusammenarbeit mit den Franzosen etwa im Metallerbereich, wo die meisten Organisierten Mitglieder der kommunistisch orientierten CGT sind.

Dabei streitet niemand der IG Metall das Recht ab, mit der ideologischen Einstellung der CGT in einzelnen Punkten uneins zu sein (etwa als die CGT — wie auch der PCF — die Niederschlagung der Studentenbewegung in China 1989 verteidigte); die Frage ist, wie lange sich die BetriebsrätInnen noch große ideologische Auseinandersetzungen leisten können in einem Europa, in dem Betriebszusammenlegungen und grenzüberschreitende Fusionen immer einfacher werden.

Viel Zeit ist nicht mehr zu verlieren, wenn bis 1992 die Rechte der ArbeitnehmerInnen abgesichert sein sollen; da gibt es noch allerhand Hindernisse. Zwar rühmen sich die Gewerkschaften ihrer traditionellen internationalen Ausrichtung; doch in der Praxis war das nationale Hemd stets näher als die internationale Hose. Dazu kommt, daß noch immer kein europäisches Arbeitsrecht existiert, und daß die multinationalen Konzerne noch immer nationalem — und nicht internationalem — Steuerrecht unterworfen sind. Europäische Tarifverträge gibt es nirgendwo, und nur ganz wenige Firmen wie der Bull-Konzern und BSN Danone haben europäische Informationsausschüsse. Das nationale Engagement der Gewerkschaften wird auf mittlere Sicht auch kaum abnehmen.

Auf der anderen Seite werden immer mehr Entscheidungen vom EG-Ministerrat in Brüssel gefällt und beeinflussen die Wirtschaft der einzelnen Länder direkt. Doch das hat sich, auch bei den Gewerkschaften, noch immer nicht hinreichend herumgesprochen. Und so ist trotz all der kritisierbaren Punkte an der ökonomischen Liberalisierung weit und breit keine Gegenmacht zu sehen, die den abfahrenden Zug auf andere Geleise bringen könnte. Sicher, es gibt den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB), der Mitte der 70er Jahre gegründet wurde und dem Gewerkschaften aus der EG, der EFTA und Ländern des Europarats angehören — doch längst nicht alle relevanten. So fehlen z. B. die französische CGT, die italienischen Cobas, die portugiesische Intersindical, die spanischen Comisiones Obreras. Letztere haben schon lange einen Aufnahmeantrag gestellt, aber es ist immer noch offen, wann dem stattgegeben wird; möglicherweise Ende des Jahres. Unvereinbarkeit mit anderen Mitgliedern kann nicht an der Verzögerung schuld sein — dem Bund gehören auch so verfeindete Geschwister wie der DGB und die DAG an.

Die mangelnde Repräsentanz aller Organisationen ist nicht das einzige Problem des Bundes. So muß der Verband zwei Drittel seiner Arbeitskapazität darauf verwenden, eine gemeinsame Plattform aller vertretenden Formationen zu erstellen. Den Rest der Zeit mühen sich der Generalsekretär, fünf politische Sekretäre und fünf Assistenten (darunter eine einzige Frau) um Einfluß auf den Gesetzgebungsprozeß in der EG, werkeln als Lobby in der Kommission, im Europaparlament, bei den nationalen Regierungen und versuchen auf vielen Konferenzen, europaunkundige Kollegen von der Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zu überzeugen. Doch eine Stärkung des Verbandes ist nicht in Sicht: Für den Posten eines EBG-Sekretärs in Brüssel will sich derzeit nirgendwo ein hochrangiger Kandidat finden.

Statt dessen richten die nationalen Gewerkschaften klammheimlich immer mal wieder eigene Vertretungen in der Europahauptstadt ein. So etwa kürzlich die französische FO und die schwedische LO — obwohl beide Mitglieder des EGB und so bereits durch ihn vertreten sind.

Daß effektive Arbeit so nicht zu leisten ist, wird auch den Gewerkschaftsbossen klar. Doch die Angst, Kompetenzen abgeben zu müssen, Eitelkeiten, Unkenntnis der EG-Strukturen führen zu einer weiteren Aufsplitterung der gewerkschaftlichen Kräfte, statt eine Gegenmacht herauszubilden, die den ArbeitnehmerInnen der EG wenigstens fundamentale Rechte verschaffen könnte, ehe der Zug nach 1992 abgefahren ist.