Rettung im Ismus

■ Zum Linienpapier des grünen Bundesvorstandes KOMMENTARE

Ein Gefühl teilt der grüne Bundesvorstand sicherlich mit anderen Parteivorständen am Beginn jener neuen deutschen Republik: das Gefühl, Fundamente im Treibsand verankern zu müssen. Das Bewußtsein der Unsicherheit und das Bedürfnis nach politischer Eindeutigkeit potenziert sich gegenwärtig. Für den Bundesvorstand hat sich das politische Sicherheitsbedürfnis noch einmal dadurch verschärft, daß jetzt einige Linke aus der Partei aus- und in den Schatten eingetreten sind, den die PDS ins vereinte Deutschland vorauswirft. Jetzt werden den Linksab- oder -ausweichern übertriebene Trauererklärungen hinterhergereicht. Mit einem gewissen Recht konnten die Grünen immer auf ihre Streitbarkeit, ihre Buntscheckigkeit — genannt „Omnibus“-Prinzip — verweisen, um ihre besondere politische Rolle hervorzuheben. Nur, diejenigen, die beispielsweise jetzt die AL verlassen haben, stehen eben nicht für einen fruchtbaren Meinungspluralismus, sondern für die Lähmung durch Strömungsschlachten. Sie praktizieren das dogmatische Prinzip, wonach einer gemeinsamen Politik die gemeinsame Überzeugung vorauszugehen habe. Daß Überzeugungen unfruchtbar sind, generell und besonders in diesem Jahr der Umwälzungen, haben sie nicht begriffen.

Der Bundesvorstand aber auch nicht: Er stellt sich jetzt das Problem, das grüne Schiff zwischen der Skylla SPD und der Charybdis PDS durchzusteuern; das heißt, er flieht in die scheinsichere Welt der Ismen. Eine schon in den zwanziger Jahren beliebte Methode der KPD, angesichts gesellschaftlicher Veränderungen politische Klarheit zu fingieren. Dem Bundesvorstand zufolge droht durch die PDS Linksopportunismus, durch die SPD Rechtsopportunismus und so verfällt er logischerweise in Zentrismus, grenzt sich von Parteirechten ab und betont die einwandfreie linke Linie der Grünen seit der Dortmunder Bundesversammlung. Es fehlt nur noch die Entlarvung des Ebermannismus und des Knappismus. Diese politische Regression des BuVo fördert ein politisches Verhalten, wo nur noch in Linien gedacht, nur noch auf Reizworte reagiert wird. Und damit wird erstens den Grünen zugemutet, ihre politische Identität zwischen SPD und PDS zu suchen — als ob beide Parteien auch nur eine Idee hätten, wie sie auf die neue deutsch-deutsche Realität reagieren sollen. Die PDS ist nicht deswegen gefährlich, weil sie einen „stalinistischen Kern“ und eine „sozialdemokratische Politik“ — wie der BuVo analysiert — hat, sondern weil sie auf moderen Weise die linke Opferhaltung verkauft. Zweitens ist das Projekt einer ökologischen Demokratie ein Bündniskonzept quer durch alle Parteien. Drittens lösen sich die alten Lager von links und rechts auf. Viertens gibt es den großen Anstoß durch die Bürgerbewegungen der DDR, die gerade keine Politik „auf Linie“ wollen, sondern eine Politik der direkten Demokratie, die die Parteilinien zersetzt. Der grüne Bundesvorstand sieht diese Chance nicht und will sie wohl auch nicht. Er träumt von einer vereinigten Linken. Ihm paßt nur die „Vereinigte Linke“ zusammen mit der PDS nicht. Klaus Hartung