Liberia: „Jetzt wollen wir Spaß haben“

NPF-Guerillaführer Charles Taylor steht auf schwankendem Grund/ Seine Kommandanten rauben die eigenen Völker aus  ■ Aus Abidjan Peter Labbé

Um den bisher sehr großspurig auftretenden „Commander in Chief“ der NPF, Charles Taylor, ist es in den letzten Wochen recht still geworden. Zwar kontrolliert er mit über 30.000 ausgebildeten Rekruten zwei Drittel des Hinterlandes, konnte in Monrovia aber überraschend wenig erreichen. Motivation und Energie seiner 185 Libyen-trainierten Kommandanten richtet sich seit Monaten nicht mehr auf die Beseitigung des Doe-Regimes, sondern auf persönliche Bereicherung. Anstatt gegen Does oder Johnsons Leute zu kämpfen, plündern sie alles, was von diesen noch nicht abgeräumt wurde.

Schon zu Jahresbeginn brachten Hunderte von LKWs Diebesgut, das Mandingo- und Krahn-Angehörigen abgenommen worden war, aus dem NPF-Stammland Nimba County nach Guinea. Heute sitzen die Hehler in den Gio-besiedelten Gebieten im Grenzland der Elfenbeinküste, wo täglich tonnenweise Kühlschränke, Videogeräte und Matratzen aus Monrovia, Kakata oder Bong eintreffen — unter Aufsicht einer der meist sehr zahlreichen Freundinnen eines NPF- Kommandanten. Diese Raubzüge machen seit kurzem auch vor Landsleuten aus Nimba County nicht mehr halt. Insbesondere Angehörige des Mano-Volkes, aber auch Gio-stämmige kommen verbittert und bis aufs Hemd ausgezogen aus Monrovia in ihre Heimatdörfer zurück. Sie sind lediglich froh, dem Hunger und den Doe-Soldaten in der Haupstadt entkommen zu sein und in halbzerstörten Dörfern Verwandte wiederzufinden.

Auch ohne Ausgangssperre gehen die meisten Nimbaner früh schlafen, um abends nicht einem angetrunkenen und um sich schießenden Kommandanten auf Frauensuche zu begegnen. Trotz zahlreicher Dekrete Taylors wird weiter geschossen, geplündert und vergewaltigt. NPF- Kommandanten stehlen sich auch schon mal gegenseitig Benzin und Reis.

Da der Ameriko-Liberianer Taylor nach dem Alleingang des gio- stämmigen Johnson mehr denn je auf die Loyalität der anderen Gio-Kommandanten angewiesen ist, vermeidet er ernsthafte Disziplinierungsmaßnahmen. Doch er selbst ist an der zunehmenden Unberechenbarkeit der NPF nicht unbeteiligt: Für Tätlichkeiten und Drohungen auch gegenüber geladenen Journalisten, wie dem ehemaligen taz-Mitarbeiter Stephen Smith, war er persönlich verantwortlich. Smith hatte zufällig das Eintreffen einer Waffenlieferung mitsamt Soldaten aus Burkina Faso auf dem Flughafen Robertsfield miterlebt und wurde nach Mißhandlungen ausgewiesen. Aber auch die Soldaten des burkinabischen Präsidenten und Taylor-Freundes Blaize Comaporé werden wenig ausrichten können, sobald die 30.000 NPF-Rekruten für sich persönlich genug erreicht haben: „Nach Kampf und Leid wollen wir jetzt Spaß haben“.

Der einzige Trumpf in der Hand von Charles Taylor, der dem selbsternannten Präsidenten Nummer Eins nun doch noch die politische Macht sichern könnte, ist die Schwäche seiner immer zahlreicher werdenden Konkurrenten. Präsident Nummer Zwei ist der von den Oppositionsparteien und der „Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (ECOWAS) auserkorene Interimsregent Amos Sawyer im Gespann mit dem lutherischen Bischof Dicks. Diese gehören zu den wenigen nicht durch Korruption oder Opportunismus vorbelasteten Politikern Liberias; heute, nach vielen Jahren Exil, haben sie keine Machtbasis im Land und sind völlig von der ECOWAS-Truppe („ECOMOG“) abhängig. Auf Platz drei steht der Doe-Mörder Prince Johnson; ganz unten auf der Präsidentenhierarchie steht der Brigadegeneral der regulären Armee, David Nimley, der sich kurz vor Does Tod zum Interimspräsidenten erklärte.