Friedensprozeß in Südafrika gefährdet

 ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Nelson Mandela hat am Dienstag gewarnt, daß die andauernde Gewalt in Schwarzenghettos rund um Johannesburg den Friedensprozeß in Gefahr bringen könnte. „Die Regierung hat die Fähigkeit, diese Gewalt zu beenden“, sagte der Vizepräsident des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), aber sie tue nichts in dieser Richtung. Mandela erklärte, daß die ANC-Anhänger erneut Waffen fordern, um sich gegen die Übergriffe verteidigen zu können. Solchen „gerechtfertigten“ Forderungen könne sich die Organisation nur schwer verschließen. Wenn die Regierung weiterhin zögere, die Gewalt durch Einsatz der Armee zu unterbinden, dann bestehe die Gefahr, daß das Land in einem Bürgerkrieg versinkt.

Mandela hatte zuvor ein dreistündiges Gespräch mit Südafrikas Präsident Frederik de Klerk in Pretoria geführt. Der Termin stand schon seit einiger Zeit fest und war ursprünglich vorgesehen für eine Diskussion zwischen einer gemeinsamen Delegation von ANC, der Vereinigten Demokratischen Front und der Gewerkschaftsföderation COSATU mit de Klerk über blutige Kämpfe zwischen ANC- Sympathisanten und Mitgliedern der Zulu-Organisation Inkatha in der Provinz Natal. Dort sind in vier Jahren mehr als 4.000 Menschen ums Leben gekommen. Nach Ausbreitung dieser Konflikte auf die Region um Johannesburg im August wurden die Gespräche allerdings von den aktuellen Kämpfen überschattet. Mehr als 700 Menschen sind seit August bei Johannesburg getötet worden. Die Kämpfe dauerten auch am Dienstag und Mittwoch an. Seit Montag sind in den Wohngebieten Vosloorus, Kathlehong und Thokoza östlich der Metropole mindestens 45 Menschen ums Leben gekommen, allein in der Nacht des Dienstag auf Mittwoch starben 50 Menschen in Townships um Johannesburg. Gerüchte mehren sich, daß auch weiße rechtsradikale Provokateure an den Kämpfen beteiligt sind.

De Klerk meinte, daß politische Initiativen zur Lösung der Konflikte in Natal fortgesetzt werden müßten. Vor allem Verhandlungen zwischen Inkatha und dem ANC seien notwendig. Der Präsident erklärte, die Regierung müsse in dem Konflikt unparteiisch auftreten.

Vorwürfe der Parteilichkeit werden vom ANC allerdings nach wie vor gegen die Polizei erhoben. Auch am Dienstag sagten Einwohner umkämpfter Ghettos, daß die Polizei Inkatha aktiv unterstützt habe. Diese Vorwürfe, und die Tatsache, daß de Klerk bisher nicht entschieden gegen ultrarechte Reformkritiker innerhalb der eigenen Sicherheitskräfte vorgegangen ist, haben zu schweren Spannungen im Verhältnis ANC—Regierung geführt. Der ANC ist wohl bereit, reformorientierten Mitgliedern der Regierung, vor allem de Klerk selbst, zu trauen. Nicht aber den Sicherheitskräften noch dem Minister für Recht und Ordnung oder dem Verteidigungsminister.

Trotz der Spannungen geht der Verhandlungsprozeß hinter den Kulissen weiter. Diese Woche wurden erneut sieben politische Gefangene, alle ANC-Mitglieder, freigelassen. Zudem treffen sich zwei gemeinsame Arbeitsgruppen zwischen ANC und Regierung nach wie vor regelmäßig. De Klerk und Mandela haben zuviel auf einen Erfolg der Verhandlungen gesetzt. Beide werden ihr Äußerstes tun, um den Prozeß voranzutreiben.