Das Ende der 4+2-Verhandlungen
: Deutschlandvertrag im Windschatten des Golfkonflikts

■ Saddam Hussein hat es möglich gemacht: Je stärker das Weltinteresse sich gen Nahost richtete, desto leichter konnte Kohl sich bei allen „äußeren Aspekten“ der Vereinigung durchsetzen. Moskau hofft zwar auf neue europäische Sicherheitsstrukturen, tatsächlich aber ist von der KSZE kaum noch die Rede.

Nur vier Minuten dauerte die Zeremonie, dann hatten in einem Saal des Moskauer Oktjabrskaja-Hotels die sechs Außenminister ihre Unterschriften unter den Vertrag (siehe den Wortlaut lauf Seite 10) gesetzt — mit einem chinesischen Füllfederhalter, wie scharfäugige Journalisten zu berichten wußten. Schließlich war es auf sowjetischem Wunsch statt eines einfachen Abkommens doch noch ein förmlicher „Vertrag“ geworden, der zumindest nach dem Grundgesetz und der US-amerikansichen Verfassung vom jeweiligen Parlament ratifiziert werden muß. Die volle Souveränität wird das vereinte Deutschland also erst „in einigen Monaten“, so Außenminister Genscher gestern, erhalten.

Allerdings hatten sich die vier Siegermächte noch auf eine Erklärung geeinigt, in der es heißt, sie erklärten „die Aussetzung der Wirksamkeit ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Vereinigung Deutschlands bis zum Inkrafttreten des Vertrages über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland.“ Im Gegenzug überreichten Genscher und de Maizière, der seit Meckels Rücktritt auch als Außenminister der DDR amtiert, einen Brief an die vier Mächte, in dem festgestellt wird, daß die Enteignungen, die von der sowjetischen Besatzungsmacht in der damaligen SBZ 1945-1949 vorgenommen wurden, nicht rückgängig gemacht werden. Weiter wird der Sowjetunion die Pflege ihrer auf deutschem Boden errichteten Denkmäler und ihrer Kriegsgräber garantiert.

Ein dritter Punkt wiederholt nur Bekanntes: Daß nämlich Parteien und Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten werden können. „Dies betrifft“, so heißt es weiter, „auch Parteien und Vereinigungen mit nationalsozialistischen Zielsetzungen.“ Im letzten Absatz geht es um die von der DDR abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge. Hier verpflichten sich Bonn und Ost-Berlin lediglich, „ihre Fortgeltung, Anpassung oder ihr Erlöschen zu regeln beziehungsweise festzustellen“ — u.a. unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes.

Noch in der Nacht vor der Vertragsunterzeichnung hatten West und Ost zwei Punkte hartnäckig verhandelt. In einem gab schließlich die Sowjetunion nach: Westliche Manöver auf dem Territorium der Ex-DDR werden nicht verboten sein, im anderen Punkt verzichteten die Nato-Staaten: Artilleriegeschlosse, die sowohl konventionell wie atomar genutzt werden können, dürfen nicht östlich der Elbe stationiert werden.

In Bonn gaben sich die Koalitionspolitiker gestern zufrieden: Helmut Kohl ernannte den Tag zum „Schlüsseldatum auf dem Weg zur deutschen Einheit“. Das Schlußdokument spiegele in „umfassendem Maße unsere deutschen Verhandlungsziele“ wider. FDP-Chef Graf Lambsdorff lobte seinen Parteifreund Genscher für die Verhandlungsführung, und CDU-Generalsekretär Volker Rühe nannte die Unterzeichnung „ein Signal des Friedens für ganz Europa“. Nur der Bund der Vertriebenen schoß quer und fürchtete „schweres völkerrechtliches Unrecht und einen gefährlichen politischen Unruheherd“. Der Vertrag führe die „Amputation eines Viertels von Deutschland“ herbei. Einige Unionsabgeordnete im Bundestag haben sogar eine Verfassungsklage gegen die vorgesehenen Grundgesetzänderungen angekündigt, darunter die Abschaffung des Artikels 23, die klarmachen soll, daß es künftig keinen Beitritt weiterer „deutscher Gebiete“ zum Grundgesetz geben kann. mr