Unterzeichnung in der Dimitroffstraße

In Moskau wollte feierliche Stimmung nicht so recht aufkommen/Truppenabkommen noch nicht fertig/Schewardnadse: Ratifizierung ist nicht gefährdet  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Es waren viele Allgemeinplätze, die sich auf der Pressekonferenz nach der Vertragsunterzeichnung in Anwesenheit von Präsident Gorbatschow über die versammelte Weltpresse ergossen. Immer wieder war die Rede vom historischen Moment, dem Neubeginn der Zeitrechnung und einem zukünftigen Deutschland, das eine konstruktive Rolle im europäischen Einigungsprozeß spielen werde. Doch eine feierliche Atmosphäre wollte sich so recht nicht einstellen im Moskauer Hotel „Oktober“. Dies mag einerseits der Erschöpfung der Verhandlungspartner zuzuschreiben sein. Aber es könnte auch für etwas anderes sprechen: daß vielen Beteiligten „in diesem historischen Moment“ etwas mulmig zumute war.

Vielleicht haben sich die Sowjets bei der Ortswahl auch etwas gedacht: Das Hotel „Oktober“ liegt in der Dimitroffstraße im Zentrum Moskaus. Sonst kamen jedes Jahr im September Delegationen aus Bulgarien hierher, um am Denkmal ihres Landsmannes, des Kommunisten und Antifaschisten Georgj Dimitroff Blumen niederzulegen. Dieses Jahr nicht. Doch kann die historische Neuorientierung nicht darüber hinwegtäuschen, daß es die Prozesse gegen Dimitroff — von Hitlers Richtern der Branstiftung am Reichstag beschuldigt und zum Tode verurteilt — waren, die 1933 den Auftakt des nazionalsozialistischen Terrors mitbegründeten.

Trotz der Unterzeichnung des Abkommens, das im lausigen Beamtendeutsch „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ heißt und den Eindruk erweckt, als wolle man gerade aus der traurigen Sprachgeschichte der SED noch ein Stück DDR-Identität retten, sind noch einige Schönheitskorrekturen an seinem Begleitwerk nötig. Anders als Genscher noch vor kurzem hoffte, wurde das Abkommen über den sowjetischen Truppenabzug nicht zeitgleich mit dem Rahmenvertrag fertig. Die sowjetische Seite, so hieß es dazu, müsse noch rechtliche Fragen klären. Allerdings sollen diese Probleme innerhalb der nächsten Tage beseitigt werden.

Außenminister Schewardnadse versprühte Zuversicht und räumte auch noch andere Bedenken aus dem Wege. Der Ratifizierung durch den Obersten Sowjet der UdSSR, der noch sein Veto einlegen könnte, sehe er gelassen entgegen. Bei den heutigen Entwicklungen dürfe man „sich nicht von kleinbürgerlichen und spießigen Ansätzen leiten lassen“. Mit welcher Behutsamkeit allerdings die sowjetische Führung diese Frage behandelt, beweist ihr Vorbehalt gegenüber einem endgültigen Verzicht auf die alliierten Rechte für den Zeitraum zwischen der Einigung und der Hinterlegung der letzten Ratifizierungsurkunde. Vor Behandlung dieses Punktes durch das höchste legislative Organ wollte sie einem solchen Verzicht nicht zustimmen.