Stimmende Stimme

■ Odetta Gordon zelebrierte in „Unser Lieben Frauen“-Kirche ihre Lieder

Bob Dylan, Janis Joplin und Tracy Chapman, um nur einige zu nennen, benannten sie als Einfluß, und wer die „Grand Old Lady“ der US-amerikanischen Folkmusik am Mittwochabend hören konnte, wird es verstehen. Odetta singt nicht einfach, sie zelebriert ihre Lieder.

Die Work-Songs, Kinder-und Spiellieder, Gospels, hinter denen oft mehr steht, als ihre einfachen Texte beim ersten Hören freigeben, entwickeln in Odettas Interpretation neue Qualitäten. Die verschiedenen Stimmungen, aus denen die Songs entstanden, werden durch die eigenwillige Artikulation Odettas lebendig. Mit ihrer changierenden Stimme illustriert sie die wechselnden Gefühlslagen. Wenn sich ihre Stimme zum gospeligen Anruf des „Lord“ erhebt, dann ist auch das verborgene Schluchzen zu hören, in dem sich das erstaunte Unverständnis der versklavten Schwarzen über ihr Schicksal Bahn brach. In den Kinderliedern findet sich der mutwillige Ton noch ungebeugter kleiner EntdeckerInnen, in den Work-und Folksongs das maulfaule Ausspucken zerkauter Worte von Menschen, die es nicht gewohnt sind, viele Worte zu machen.

Odettas Lieder wurzeln im US- amerikanischen Urmythos der Wanderschaft, sie handeln von der Sehnsucht nach dem verlassenen Zuhause, von dem wegzukommen doch oft soviel Mühe gekostet hatte. Das verbindet die Lieder der europäischen EinwanderInnen, in denen die alte Heimat beschworen wurde, und die Lieder der Schwarzen, die den versklavenden Süden verließen — um im Norden festzustellen, daß auch die längste Wanderung ihnen die Erde Mississippis nicht von den Füßen streifen konnte.

Diese Stimmungen wurden von Odetta, die sich auf der Gitarre begleitete, mal in hohem Falsett oder voluminösem Alt ausgedrückt, mal grummelnd- ruppig, mal metallisch-cool (Grace Jones muß Odetta auch mal gehört haben). Das Publikum in der halbvollen Kirche dankte mit wohlmeinendem bis begeistertem Applaus. Farina