Sowjetische Juden auf der Warteliste

■ Bonner Innenministerium will eine Aufnahmequote für sowjetische Juden/ „Sonderregelung“ der DDR soll aufgehoben werden/ Konsulate sollen Aufnahmeanträge zunächst nicht bearbeiten

Bonn/Berlin (dpa/taz) — Das Bundesinnenministerium hat im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt die konsularischen Vertretungen der Sowjetunion darum gebeten, die Aufnahmeanträge sowjetischer Juden „zunächst nicht weiter zu bearbeiten“. Diese Bitte ist auch gegenüber der DDR ausgesprochen worden, bestätigt das Ministerium. Hintergrund der Bonner Initiative sind die in den „letzten Wochen sprunghaft angestiegenen Ausreisewünsche von Juden aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik und in die DDR“. Nach Meldungen des Auswärtigen Amtes liegen alleine dem Generalkonsulat Kiew bis zu 10.000 Ausreiseanträge vor. Ziel der Bundesrepublik sei es, in Absprache mit der Regierung der DDR und den Ländern „zu einem einvernehmlichen Verfahren und der Festlegung einer Aufnahmequote zu gelangen“, heißt es aus Bonn. Der Zentralrat der Juden soll in „diese Überlegungen miteinbezogen werden“. Halbherzig bestätigt damit das Bundesinnenministerium, daß es in einem Brief die DDR-Regierung gebeten haben, die bisherige Aufnahmepraxis zu verändern. Im Unterschied zur Bundesrepublik nimmt die DDR aufgrund eines Ministerratsbeschlusses vom 11. Juli die sowjetischen Juden generell aus „humanitären Gründen“ auf. Seit Mai sind über 1.000 Juden in die DDR gekommen. Nach Angaben von Almuth Berger, Ausländerbeauftragten beim Ministerrat der DDR, hat sich ihr Amt vergeblich dafür eingesetzt, daß die bisher praktizierte „Sonderregelung“ im Einigungsvertrag festgeschrieben wird. Almuth Berger hat auf der Ministerratssitzung am vergangenen Mittwoch gefordert, daß sich DDR- Staatssekretär Krause erneut dafür engagiert, in einem Nachvertrag mit der Bundesregierung diese Sonderaufnahmeregelung für Juden aus der Sowjetunion festzuschreiben. Falls dies der DDR- Regierung nicht gelingen sollte, dann gilt mit den Vereinbarungen des Einigungsvertrages auch für sowjetische Juden das Ausländerrecht der Bundesrepublik. Das Bonner Innenministerium behauptet zwar in einer Presseerklärung, daß es „sich im Einvernehmen mit den Ländern stets für eine großzügige Aufnahme jüdischer Emigranten aus der Sowjetunion eingesetzt“ habe, die tatsächlichen Aufnahmezahlen sprechen allerdings eine andere Sprache. Während das Bundesinnenministerium meldet, daß in den beiden letzten Jahren 400 jüdische Einwanderer aus der Sowjetunion aufgenommen wurden, teilt der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Heinz Galinsiki, mit, daß diese Zahl übertrieben ist. Laut den Statistiken des Zentralrates sind in diesem Jahr insgesamt 302 Juden aufgenommen worden, 226 allein von West-Berlin. Bayern und Niedersachsen sträubten sich mit „Händen und Füßen“ gegen die jüdischen Neuankömmlinge. Ob eine Länderquotenregelung ein Vorteil oder Nachteil wäre, kann Galinski im Moment noch nicht sagen. Wichtig wäre für ihn eine einheitliche Regelung, damit sich nicht einzelne Länder gegen eine Aufnahme sperren können. Der Jüdische Kulturverein in Ost-Berlin hat sich gegen eine mögliche Einwanderungsrestriktion ausgesprochen. De Maizière soll sich bei Kohl dafür einsetzen, daß die Fragen des zukünftigen Wohn- und Aufenthaltsrechts auf deutschen Boden für jüdische Einwanderer im Interesse dieser Bevölkerungsgruppe gelöst wird. aku

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