Umrüsten (1): Die verstoßene Philips-Tochter

■ „Deutsche System-Technik“ in Bremen-Osterholz seit halbem Jahr selbständig / „Wir durften nie was Ziviles machen“

Die blauen Leuchtbuchstaben „PHILIPS“ sind mittlerweile vom Dach der Firma in Osterholz abmontiert, ein neuer Firmenname prangt noch nicht an der Fassade. Doch es gibt ihn: Seit dem 1. März gehört der Ex-PhilipsBetrieb zwei ehemaligen Managern, und die haben das Werk in „Deutsche System-Technik“ umgetauft. Was den Betrieb mit seinen 540 Arbeitsplätzen trotz Namenswechsel aber immer noch prägt, ist die einseitig-militaristische Hinterlassenschaft aus der Ära des Philips-Konzerns, eine Ära, die von 1962 bis 1990 währte und die abrupt endete, als Philips sich europaweit von seinen Rüstungsfirmen trennte. Aufgrund dieser erblichen Vorbelastung besteht die Produktpalette der „Deutschen System-Technik“ noch immer vornehmlich aus „Nachtsichtgeräten“ für Soldaten, aus Kommunikationssystemen für Marineschiffe, aus Führungssystemen für deutsche und Nato-Streitkräfte.

Der Name „Philips“ hat im Werk keinen guten Klang. Man ist enttäuscht. Der Betriebsratsvorsitzende Heinz Gries: „Wir sind speziell gegründet worden von Philips, als man merkte, daß mit Wehrtechnik sehr gut zu verdienen war. Aber wenn ein bißchen abgerüstet wurde, stand die Firma auf dem Trockenen. Jetzt hat uns Philips abgestoßen, weil wir zuviel Verluste gemacht haben.“ Manfred Farys, sein Stellvertreter: „Das Urproblem ist, daß Philips die Bude nur für militärische Sachen eingerichtet hat und wir nie was Ziviles machen durften. Wir haben hier Ansätze dazu gehabt, aber die wurden alle eingestampft.“ Dieses „Urproblem“ wird von der neuen Werksleitung ähnlich beschrieben. Der Ingenieur und Firmensprecher Franz Kunz: „Wir hatten innerhalb des Konzerns immer Schwierigkeiten, in andere, zivile Marktsegmente zu gehen, weil die von anderen Philips-Betrieben abgedeckt waren. Im Prinzip hatten wir hier nur einen Kunden, das Verteidigungsministerium.“ Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Manfred Farys ist seit Jahrzehnten im Betrieb, er hat das „Urproblem“ schon zweimal am eigenen Leib erfahren: „In den 60er Jahren haben wir eine Zeitlang Tischrechner gebaut. Da war der erste Nadeldrucker drin, den es in Europa gab. Das wurde trotzdem wieder aufgegeben. Dann haben wir zivilen Hafenradar gemacht für den Hamburger Hafen. Das wurde über Nacht bei uns eingestampft.“

Mit 80 Prozent gibt die Firmenleitung den derzeitigen Anteil der Rüstungsproduktion am Gesamtumsatz an. Firmensprecher Franz Kunz: „Wir wollen mit unserem Anteil runter auf 60 Prozent. Aber wir wollen aus dem wehrtechnischen Geschäft nicht ganz raus.“ Warum diese teilweise Abwendung von Verteidigungsministerium und NATO- Hauptquartier? Firmensprecher Franz Kunz: „Seit Herbst '89 wird die Bundeswehrplanung alle vier bis sechs Wochen überarbeitet. Früher war das nur einmal im Jahr. Es kommen weniger Aufträge rein. Wir spüren das tagtäglich.“ Zudem seien verstärkte zivile Aktivitäten nötig, um die starken Schwankungen, die das wehrtechnische Geschäft mit sich brächte, auszugleichen.

Da die Bundeswehr jedoch ihre neuen Schwerpunkte im Bereich Elektronik setze („Aufklärung, Kommunikation, Führung“), rechne die „Deutsche System- Technik“ weiterhin mit dem Rüstungsetat. Firmensprecher Kunz: „Komplett abrüsten, das hat keiner vor.“

Die Betriebsräte haben, nachdem Philips das Unternehmen den beiden Managern verkauft hat, einen Arbeitskreis gegründet. Der heißt „Neue Produktlinien“ und soll „bestehende Produkte darauf prüfen, ob wir die auf zivil umstellen können“. Die neue Geschäftsleitung hat für den Arbeitskreis den workshop bezahlt. Betriebsrat Farys ist froh, daß in der Nach-Philips-Zeit endlich Vorschläge für zivile Produkte bei den Chefs gefragt sind. Zwanzig KollegInnen arbeiten in dem Arbeitskreis mit. Faryes: „Der Wille ist sehr stark, was zu verändern. Es kommen auch Leute, die haben schon fertige Zeichnungen und legen sie der Geschäftsleitung vor.“ Die Betriebsräte sind dennoch höchst skeptisch, ob die neuen Chefs „die Kurve kriegen.“

Im Gegensatz zu den beiden Betriebsräten, strahlt Firmensprecher Kunz ungebrochenen Optimismus aus. Er nennt Beispiele dafür, wie die für militärische Zwecke entwickelten Produkte zivil vermarktet werden können: Erstens die Pilotennachtsichtbrille. Die habe man nicht nur an die Militärpiloten verkaufen können, sondern auch schweizerischen Gletscherpiloten. Die Betriebsräte haben noch weitere Abnehmerkreise für die Nachtsichtgeräte ausgemacht: „Jäger und Spanner“. Manfred Farys: „Mit der Brille sieht man wie am Tage. Die ist wirklich gut. Schreiben Sie das mal.“

Firmensprecher Kunz hat noch mehr konversive Beispiele parat: Die Glasfaser-Netztechnik, die für die Kommunikation an Bord von Marineschiffen entwickelt wurde, werde jetzt zivil vermarktet, denn mit dieser Technik ließen sich in Großbetrieben die Sub-Einheiten miteinander verbinden. Auch die Simulatoren könnten zivil genutzt werden, statt für die Ausbildung in U-Booten und an Panzern beispielsweise in der zivilen Schiffahrt oder beim Gefahrguttransport. Und die im Hause entwickelten militärischen Führungssysteme ließen sich auch bei der Polizei anwenden. Außerdem hat das Haus „Deutsche System-Technik“ bereits ein rein ziviles Produkt: Verkehrsleitsysteme. AbnehmerInnen: Die schweizerische und die deutsche Bundesbahn.

Doch so schnell läßt sich ein Betrieb nicht von „militärisch“ auf „zivil“ umstellen. Auch nicht teilweise. Und auch nicht, wenn ein Markt für die zivilen Produkte bereits gefunden wäre. Denn Produktion für das Verteidigungsministerium heißt, Produktion für ein langsames, schwerfälliges, bürokratisches Gebilde, heißt auch bezahlte Entwicklungskosten, heißt doppelte und dreifache Zeit für die Qualitätskontrolle unter Extrembedingungen. Und heißt: Die Vertriebsabteilung kann kleingehalten werden, es mußte ja nur ein Kunde, die Bundeswehr, bearbeitet werden. Einer der Belegschaftsmitglieder bringt die Betriebsinterna auf die Formel: „Wir haben viel technisches Know-How. Aber wir sind ein Tante-Emma-Laden.“

Firmensprecher Kunz sieht alle Chancen für den neuen Start. Bis 1993 gebe es noch einen Auftragsbestand von 270 Millionen Mark. Auch seien die Mitarbeiter motiviert und die Kapitaldecke dick genug. Konzernmutter Philips hatte sich beim Verkauf großzügig gezeigt. Was Kunz aber noch fehlt: „Ein großer, spektakulärer Auftrag, den haben wir noch nicht. Aber andererseits ist er dem Streichkonzert im Amt noch nicht zum Opfer gefallen.“ Konversion hin, Konversion her: Diesen Herzenswunsch hegen die beiden Betriebsräte auch: „Wir bräuchten mal so einen dicken Auftrag von 30, 40 Millionen.“ Barbara Debus