Die »weiche Welle« wirkt

■ »Plantage« und »Stattknast« als Gegenmodell zum Jugendarrest/ Bei milden Jugendstrafen weniger Rückfalltäter/ 1990 Ausnahmejahr

Kreuzberg. Wenn ein Jugendlicher eine Straftat begangen hat, dann weiß Volkes Stimme schnell Rat: Strafe muß her, damit der verdorbene Charakter wieder auf Kurs getrimmt wird. Daß diese Stammtischerkenntnis Unfug ist, belegte der Hannoveraner Kriminologe und Jugendrechtler Prof.Dr.Christian Pfeiffer mit eindrucksvollen Zahlen aus der Berliner Strafstatistik: Je milder geurteilt wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Jugendliche noch einmal vor dem Richter landet. Pfeiffer sprach am Mittwoch auf einer von Jugendsenatorin Klein eröffneten Veranstaltung der Nachbarschaftsheime Neukölln und Urbanstraße. Mit Bastel- und Gesprächsgruppen nimmt man sich bei »Plantage« und »Stattknast« der zu Freizeitarbeit verurteilten Jugendlichen an, versucht Gesprächspartner bei persönlichen Problemen zu sein, plant gemeinsame Reisen.

Die Berliner Justiz ist später als andere Länder auf die »weiche Welle« umgeschwenkt: Erst seit 1985 werden deutlich mehr Jugendliche statt in den Knast zu Projekten wie »Stattknast« geschickt, von 50 auf 30 Prozent gesunken ist der Anteil der Verurteilungen zu Haft oder Arrest — nach Senatorin Klein eine »Folge der exorbitanten Erfolge dieser Institutionen«. Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, führt das auch auf den inzwischen begonnenen Kommunikationsprozeß zwischen Justiz und Jugendprojekten zurück: »Die Richter kommen so sehr schnell zu der Erkenntnis, daß Verwarnungen bessere Wirkungen haben als Unterbringung im Knastmilieu.« Die Statistik untermauert das: Um ein Viertel gesunken ist die Zahl der »Mehrfachtäter« in den letzten fünf Jahren, erstmals nahm auch die Gesamtzahl der Delikte ab. »Diese Daten sollen nahelegen, daß Berlin um Gottes Willen beim eingeschlagenen Kurs bleiben soll, lassen Sie sich nicht anstecken von der Panik, die in der Presse gemacht wird.« Die Zunahme von Straftaten 1990 führt Pfeiffer auf die »Ausnahmesituation« in der Stadt zurück. »1990 können Sie für die Forschung streichen.« Bei der »weichen Welle« hat die Berliner Justiz keinen Unterschied zwischen Ausländern und Berlinern gemacht. Eine Ausnahme jedoch gibt es: »Junge, aggressive Ausländer werden von der Strafverschonung ausgenommen.« Ihnen gegenüber würden die Richter »generalpräventiv« urteilen.

»Plantage« und »Stattknast« sind mit nur zwei Sozialarbeitern hoffnungslos überlastet. Anne Klein versprach weitere Unterstützung. Die Projekte brauchen noch je eine bezahlte Stelle, »damit Kreuzberg nicht zur Bronx wird«, wie Bezirksbürgermeister König in seiner Rede feststellte. Joachim Schurig