Plädoyer für ein Einwanderungsgesetz

■ Nicht das Asylrecht — die Aussiedlerpolitik muß geändert werden DOKUMENTATION

Alle Plädoyers für eine Beschränkung des Asylrechts laufen auf die Behauptung hinaus, selbst die besten Gründe für den unveränderten Bestand dieses Grundrechts müßten an dem einfachen Sachverhalt scheitern, daß die Aufnahmefähigkeit der Länder und Kommunen erschöpft sei. Beim ersten Blick auf die aktuellen Zahlen leuchtet das ein. Allein von April 1989 bis März 1990 fanden in der Bundesrepublik mehr als eine Million Zuwanderer Aufnahme. Daß diese Entwicklung früher oder später ein Ende haben muß, kann sich jede/r ausrechnen. Nichts rechtfertigt allerdings die Erwartung, die nun auch von Oskar Lafontaine und der Landesregierung von NRW angestrebte Verengung der Asylrechts-Schleuse könne diesen Zustrom stoppen. Von den im oben genannten Zeitraum Zugewanderten waren allein 920.000 sogenannte „Aus- und Übersiedler“, die gar nicht unter das Asylrecht fallen und deren Aufnahme von allen Bundestagsparteien ausdrücklich gewollt war. Bezüglich der „Aussiedler“ gilt das auch weiterhin.

Ein Einwanderungsgesetz würde Zuwanderung sozialverträglich gestalten können

Vor diesem Hintergrund sind Lösungsvorschläge, die versuchen, die neue Asylrechtsdebatte in den Zuammenhang der generellen Zuwanderungspolitik zu rücken, ausdrücklich zu begrüßen. Ein solcher Versuch ist die Anempfehlung eines Einwanderungsgesetzes, das die Möglichkeit bieten würde, die Zuwanderung sozialverträglich zu quotieren. In der Bielefelder SPD ist dies bereits Beschlußlage, und man möchte sich wünschen, daß diese Idee forcierten Zuspruch findet. Dabei wäre allerdings darauf zu achten, daß der Begriff und das Faktum der „Einwanderung“ von anderen Rechtsformen der Aufnahme in die Bundesrepublik strikt getrennt wird. Dies ist in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Einwanderungsproblematik jedoch häufig nicht der Fall. Um das Konzept „Einwanderungsland“ empirisch plausibel zu machen, wird ständig wiederkehrend darauf hingewiesen, daß in der Bilanz von Aus- und Zuwanderung die Bundesrepublik einen Zuwanderungsgewinn von beinahe 20 Mio. Menschen mit großem Gewinn für das wirtschaftliche Wachstum und die kulturelle Bereicherung verkraftet habe. Dabei werden regelmäßig etwa 15 Mio. Vertriebene, „Aussiedler“ und Flüchtlinge, 4,5 Mio. Ausländer und 170.000 (anerkannte) politische Verfolgte unterschiedlos unter die Begriffe „Migration“ und „Einwanderung“ subsumiert. Da nun der Vorschlag, mittels eines Einwanderungsgesetzes eine generell limitierende „Einwanderungsquote“ festzulegen, sich konsequenterweise auf die Gesamtheit der Einwanderer bezieht, wären davon auch alle zur „Einwandererzahl“ addierten Gruppen betroffen — und so wird es auch bereits propagiert. Ein solches Verfahren wäre aber im Hinblick auf die eigentliche Intention (die erhoffte Entlastung des Asylrechts von Restriktionsbestrebungen) aus vier Gründen geradezu kontraproduktiv:

1. Das Recht auf politisches Asyl hat Verfassungsrang und besteht unabhängig von jedem Einwanderungsrecht — und so auch das Faktum der politischen Asylgewährung. Das muß auch so bleiben. Andernfalls würde das unmittelbar geltende Grundrecht auf politisches Asyl auf diejenigen begrenzt, die unter die Quotenregelung eines Einwanderungsgesetzes fallen. Die Quotierung eines Grundrechts widerspricht aber dem Wortlaut und Sinn der Verfassung.

2. Grundsätzlich ähnlich verhält es sich mit den Flüchtlingen aus Kriegs-, Krisen- und Katastrophengebieten, die unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention stehen und deshalb in der Bundesrepublik geduldet werden müssen. Auch in bezug auf diese Gruppe wäre jede Quotierung rechts- und sinnwidrig.

3. Völlig deplaziert ist in diesem Zusammenhang auch die Subsumierung der ca. 12 Millionen Aussiedler aus den ehemals deutschen Ostgebieten unter den Begriff „Einwanderer“. Faktisch und rechtlich handelte es sich bei dieser Bevölkerungsverschiebung um Vertreibung, nicht um Auswanderung, und bei den Betroffenen um Vertriebene, nicht um Einwanderer. Ganz abgesehen davon, daß Vertreibungen nicht „quotierbar“ sind, hat die Aufblähung der „Einwanderungszahl“ durch Addition aller möglichen Zuwanderungskategorien bei der Erklärung der Bundesrepublik zum „Einwanderungsland“ allenfalls „Platzangst“, nicht aber Zustimmungsbereitschaft zu einem Einwanderungsgesetz zur Folge.

4. Von allen derzeit relevanten Zuwanderungsbewegungen, bei denen es sich tatsächlich um Einwanderung handelt, bleibt in der oben aufgemachten „Einwanderer“-Rechnung faktisch nur die Zuwanderung der sogenannten „Aussiedler“ übrig. Bei dieser Gruppe handelt es sich zwar um rechtlich herbeidefinierte „Vertriebene“, den wirklichen Umständen nach aber um Einwanderer. Ihre Zahl wird sich in diesem Jahr auf 400.000 bis 600.000 summieren und damit die Rekordzahl des vorigen Jahres (377.000) noch erheblich übertreffen. Zur Unterstützung und Inganghaltung dieser Einwanderungsbewegung geben Bund, Länder und Gemeinden jährlich Milliardenbeträge aus. Hier — aber auch nur hier — besteht tatsächlich rechtlich und politisch dringender Handlungsbedarf.

Das Vertriebenengesetz ist mit dem Ende des Kalten Krieges obsolet

Wenn es so ist, daß die Zuwanderung zu einem quantitativ nicht mehr zu bewältigenden Problem geworden ist, dann wäre die sinnvollste Regelung also die sofortige Beendigung der bisherigen Aussiedlerpolitik, an deren Stelle dann eine sozialverträglich quotierte Einwanderungspolitik treten könnte. Das Asylrecht hat damit gar nichts zu tun. Deswegen brauchen wir auch keine „Asyldebatte“, sondern eine Diskussion über die „Aussiedler“-Politik. Es ist nicht länger zu rechtfertigen, einerseits den Flüchtlingen und politisch Verfolgten die Zufluchtswege in die Bundesrepublik immer mehr zu verbauen, und andererseits die sogenannten „Aussiedler“ mit einem finanziell und rechtlich opulent ausgestatteten Einwanderungsprivileg zur „Aussiedlung“ in die Bundesrepublik geradezu einzuladen. Es gibt keinen akzeptablen Grund, noch länger an der Vortäuschung festzuhalten, wir seien zu der diskriminierenden Ungleichbehandlung der einerseits faktisch und der andererseits nur fiktiv Vertriebenen sogar verfassungsrechtlich gezwungen. Die Rechtsfigur des „Aussiedlers“ ist kein Konstrukt des Grundgesetzes, sondern des Bundesvertriebenengesetzes von 1953. In diesem — mit einfacher Stimmenmehrheit abänderbaren — Gesetz wurde festgelegt, daß es neben den vertriebenen Deutschen auch welche geben soll, die als solche „gelten“ sollen, obwohl sie es nicht sind — vorausgesetzt, die (gleichfalls höchst problematisch definierten) völkischen Abstammungs- und Bekenntnismerkmale stimmen, und das „Vertreibungsgebiet“ ist kommunistisch beherrscht. Beide Kriterien sind — wie dieser Teil des Gesetzes insgesamt — eine typische Hervorbringung des Kalten Krieges und mit dem Ende des Kalten Krieges obsolet geworden. Karl A. Otto

Karl A. Otto ist Professor für politische Soziologie an der Universität Bielefeld und Vorstandsmitglied der dortigen SPD. Anfang dieses Jahres gab er ein Buch zur „Aussiedlerpolitik zwischen ,Deutschtümelei‘ und ,Verfassungsauftrag‘“ unter dem Titel „Westwärts — Heimwärts“ heraus. Das Buch ist im Bielefelder AJZ-Verlag erschienen.