KOMMENTAR
: Trojanisches Ost-Pferd

■ Verfassungsklage von Czaja & Co.

Die Transsubstantiationen im Deutschen Einigungsprozeß waren bislang Angelegenheit der DDR. Nun greift die Wesensveränderung auf den Bundestag über: Czaja&Co. haben Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil die Regierung die demokratischen Rechte des Parlaments im Gesetzgebungsverfahren zum Einigungsvertrag gravierend verletze. Das ist nicht der erste Bock, der in diesen Zeiten in die Rolle des Gärtners schlüpft: Es „drohen — so Czaja&Co. — schwere Nachteile“, weshalb das BVerfG per einstweiliger Anordnung die „Aussetzung der Beratungen und Abstimmungen im Bundestag“ anordnen soll.

Was die Herren schlußendlich bezwecken, ist ja hinreichend bekannt: die im Vertrag zum Ausdruck kommende Anerkennung der polnischen Westgrenze sei ebenso verfassungswidrig wie die Anmaßung der neuen Grundgesetzpräambel, wonach „das gesamte Deutsche Volk die Einheit vollendet“ habe. Tatsächlich handele es sich nur um „ein Teilvolk“, und vollzogen werde eine „Selbstverstümmelung“, wie es in der Klageschrift heißt. Das ist bestenfalls grober Unfug, und daran wird das BVerfG keinen Zweifel lassen. Interessanter ist da schon, wie solide das Trojanische Pferd konstruiert ist, mit dem die Vertriebenen-Fürsten gen Osten ziehen wollen: Sie begründen ihre Klage damit, daß ihre in Art. 38 GG abgesicherten Mitwirkungsrechte als Parlamentarier verletzt würden, weil in den Einigungsvertrag verschiedene Grundgesetzänderungen „eingebettet seien“. Im Unterschied zum normalen Gesetzgebungsverfahren sei es den Abgeordneten im Falle von Verträgen mit auswärtigen Mächten nicht möglich, Änderungsanträge zu stellen und damit ihre Rechte als Mitglieder des Gesetzgebungsorgans wahrzunehmen.

Tatsächlich stellt Paragraph 82 Abs.2 der Geschäftsordnung des Bundestages fest, daß Verträge mit auswärtigen Staaten nur als Ganzes, so wie sie von der Regierung ausgehandelt und unterschrieben wurden, angenommen oder abgelehnt werden können. Der Grund liegt darin, daß die BRD nicht den mit einem Vertragspartner ausgehandelten Text einseitig zu ihren Gunsten ändern kann. Dieses auch sonst im Vertragsrecht geltende Prinzip ist unter Juristen unbestritten. Daran nehmen die Kläger auch nicht Anstoß. Sie rügen vielmehr, daß im vorliegenden Fall Grundgesetzänderungen, die der Einigungsvertrag beinhaltet, zwischen Regierungsbeamten ausgehandelt wurden, und das Parlament diesen dann notgedrungen zustimmen muß, weil es zwar das Hauptanliegen des Vertrages — die Vereinigung — wolle, aber möglicherweise die eine oder andere Grundgesetzänderung nicht.

Die vertragliche Zusammenfassung einer Reihe von Grundgesetzänderungen (zum Beispiel auch die Aushebelung des Art.146) und deren Koppelung an den Beitritt unterläuft tatsächlich fundamentale Rechte der Parlamentarier. Das BVerfG hat mehrmals betont, daß „das Recht des einzelnen Abgeordneten, an der Willensbildung und Entscheidungsfindung des Bundestages mitzuwirken und seine besonderen Erfahrungen und Kenntnisse darin einzubringen, nicht in Frage gestellt werden darf“.

Eine Beschränkung auf Ja-Nein-Abstimmung bei einfachen gesetzlichen Änderungen im Zusammenhang mit Staatsverträgen ist hinnehmbar. Die Grundfesten des Verfassungsstaates sind aber berührt, wenn Änderungen des Grundgesetzes nicht als Einzelgesetze, die den Verfassungswortlaut ausdrücklich ändern, ins Parlament eingebracht werden, sondern als Teil eines von Exekutiven vereinbarten Staatsvertrages. Das BVerfG hat denn auch im Urteil zum Grundlagenvertrag 1973 klargestellt, daß die geltende Verfassungsordnung durch einen Vertrag nicht geändert werden könne.

Der Weg ist klar. Das Grundgesetz hätte — nachdem die Volkskammer ihre Vorstellungen und Bedingungen für den Beitritt geäußert hatte — im normalen Verfahren geändert werden müssen, und erst danach hätte der Beitritt erfolgen können. Das ist in der Sache nichts anderes, als Art.146 des GG vorsieht, mit dem Unterschied, daß das dort geregelte Verfahren einfacher und demokratischer ist: Die Umgestaltung des GG im Falle der Vereinigung durch eine Verfassunggebende Versammlung.

Die CDU/CSU hat das von Anfang an torpediert, Czaja&Co. waren immer auf Linie. Jetzt paßt ihnen die Konsequenz nicht. In ruhigeren Zeiten würden sie wegen der Aushebelung ihrer Mitwirkungsrechte in Karlsruhe wohl Recht bekommen. So bleibt nur die Feststellung: Wer in den Zug einsteigt, muß bis zum Ziel mitfahren, wenn er sich nicht das Genick brechen will. Karlheinz Merkel

Der Autor ist Rechtsanwalt in West-Berlin. Er hat die Bürgerrechtsbewegungen in der DDR um Verfassungs- und Wahlrechtsfragen beraten