„Die SPD hat gewisse Schwierigkeiten im moralischen Bereich“

■ Berliner Gesetzentwurf zur Fristenregelung: Kompromisse mit der SPD bei ärztlicher Beratungspflicht/ Zwangsberatung über die Hintertür? INTERVIEW

Anne Klein (AL), Frauensenatorin des rot-grünen Senats in West-Berlin, war mitbeteiligt an dem Entwurf für ein „Schwangerschaftsgesetz“, das per Bundesratsinitiative eingebracht werden soll. Der Entwurf sieht die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten zwölf Wochen vor. Schwangere sollen einen Rechtsanspruch auf Beratung haben. Nach der Dreimonatsfrist machen sich ÄrztInnen weiterhin strafbar, außer, es liegt nach ihrer Erkenntnis eine medizinische oder eine sogenannte eugenische Indikation vor. Die Frau selbst geht in jedem Fall straffrei aus.

taz: Im Entwurf wurde auf eine Zwangsberatung, wie sie der heutige Paragraph 218 oder auch der Süssmuth-Vorschlag vorsieht, verzichtet. Aber es gibt eine Beratungspflicht für ÄrztInnen. Kommt die Bevormundung der Frauen über die Hintertür?

Anne Klein: Es ist keine Pflicht eingeführt worden, weil es diese Pflicht längst gibt. Das ist Teil des ärztlichen Standesrechts. Bei jedem Eingriff muß der Arzt über die ärztlichen Risiken beraten.

Diese medizinische Aufklärung ist eine Selbstverständlichkeit. In diesem Gesetz geht es um mehr. Es geht um den Hinweis auf die staatlichen Hilfen, auf Beratungsangebote. Weiter ist eine Bedenkfrist für die Frauen von drei Tagen vorgeschrieben. In der Begründung heißt es, sie sollen umfassend nicht nur auf die physischen, sondern auch auf die psychischen Folgen hingewiesen werden.

Im Gesetzestext selbst steht ganz klar: ärztliche Beratung. Wir haben diesen Entwurf auch auf dem Hintergrund der Erfahrungen aus der DDR konstruiert. Frauen wurden wie Objekte behandelt, wurden eben nicht über die verschiedenen Möglichkeiten, von Absaugmethode über operativen Eingriff bis zu Prostaglandine, informiert. Es ist auch eine Schutzvorschrift für die Frau.

Die Begründung hat aber einen ganz anderen Tenor. Da geht es darum, der Frau eine Bedenkfrist zu verordnen. Hier wird nicht medizinisch, sondern moralisch argumentiert.

Das ist nicht meine persönliche Position und auch nicht die der Grünen. Dies ist natürlich ein Kompromiß, der mit den Frauen der SPD gefunden werden mußte. Aber ich verwahre mich dagegen, daß mit unserem Entwurf auf die Frauen Zwang ausgeübt werden soll. Deshalb soll die Bescheinigung über die Beratung ausdrücklich nur die Tatsache selbst festhalten.

Darüber hinaus haben wir über die Änderung der Strafprozeßordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Beraterin festgeschrieben.

Aber wenn alles ganz freiwillig zugehen soll, warum wird dann ÄrztInnen mit einer Geldbuße bis zu 50.000 DM gedroht?

Ich kann das auch nicht in dem Maße für gut befinden. Dahinter steckt der alte legalistische Gedanke: Strafe wehrt Unmoral ab. Das ist ein Konzedieren an den Kompromißpartner. Die SPD hat gewisse Schwierigkeiten in diesem moralischen Bereich. Und natürlich muß man sich die Frage stellen: Wird dieser Entwurf gerichtsfest sein? Und wie wir wissen, stellt das Bundesverfassungsgericht hier hohe Anforderungen.

Wir haben nichts anderes getan als das, was schon in der Praxis existiert, die ärztliche Beratungspflicht und diese Bedenkzeit, festzuschreiben. Das war der Kompromiß, ohne den es nicht gelaufen wäre. Aber es wäre idiotisch gewesen, sich zu verweigern, da tatsächlich die Chance besteht, eine Fristenregelung durchzusetzen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Übernahme der eugenischen Indikation. Sie erlaubt eine Abtreibung bis zur 22. Woche, wenn zu erwarten ist, daß das Kind mit schwerwiegenden Behinderungen geboren wird. Die Behindertenbewegung hat sich zu Recht gegen dieses Messen mit doppeltem Maß verwahrt.

Eine Schädigung durch Tabletten oder Drogen kann unter Umständen noch nicht in einem Zeitraum von drei Monaten erkannt werden. Wir wollten Frauen die Möglichkeit geben, zu sagen, ich kann in meiner Situation ein behindertes Kind nicht austragen.

Warum wird die medizinische Indikation nicht entsprechend definiert? Dann geht es um die Frau und nicht um den „Lebenswert“ des Kindes.

Das halte ich juristisch für sehr schwierig.

Gab es keinerlei Chance für eine 22-Wochen-Frist? Dann wären wir diese leidige Indikationenfrage los.

Da war überhaupt nichts zu machen.

Und wie sind die Aussichten für diesen Kompromißentwurf im Bundesrat?

Ich sehe die Chancen als nicht unerheblich an. Es gibt nur noch die Frage, was ist mit Nordrhein-Westfalen? Das ist noch nicht geklärt, aber wir sind guter Hoffnung. Interview: Helga Lukoschat