Gegen die Patentierbarkeit der Welt

KritikerInnen der Gentechnologie starten Kampagne gegen EG-Richtlinie zur Patentierung der Natur  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) — Als 1889 der Supreme Court in den USA Pflanzenfasern aus den Nadeln einer Pinienart patentieren sollte, war die Welt noch in Ordnung: Das komme gar nicht in Frage, meinten die hohen Richter. „Patentansprüche auf die Bäume des Waldes und Pflanzen der Erde“ seien „natürlich unbegründbar und unmöglich“. Die Zeiten haben sich gewandelt. Seit 1980 sind in den USA tausende Patente aus der „belebten Natur“ vergeben, vornehmlich an die Chemiekonzerne des Landes, die daran ausgezeichnet verdienen.

In diesem Herbst will die EG der europäischen Gentechnik-Industrie zu ähnlich günstigen Verwertungsbedingungen ihrer Forschungsresultate verhelfen und eine entsprechende Richtlinie verabschieden. Die muß dann binnen 18 Monaten auch in nationales Recht der Mitgliedsländer überführt werden. Gegen diese Entwicklung soll ab kommenden Montag eine großangelegte Kampagne („Nein zur Patentierung von Lebewesen“) anlaufen. Getragen wird die Aktion von insgesamt 27 Organisationen, darunter das „Gen-ethische Netzwerk“, der „Bund für Umwelt- und Naturschutz“, die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“, der „Bund Bürgerinitiativen Umweltschutz“ und zahlreiche andere umwelt- und technologiekritische Organisationen, feministische und Dritte- Welt-Gruppen. Mit der Patentierung werde das „Verhältnis der Menschen zu ihrer Mitwelt um eine erneute Drehung in der Technologisierungs- und Zugriffsspirale verschärft“.

In der Frühzeit der Patentgeschichte waren Patente naturgemäß allein technischen Erfindungen vorbehalten. Als zentrale Bedingungen für ihren patenrechtlichen Schutz galten zum einen die vollständige Offenbarung der Idee und außerdem die Wiederholbarkeit der Angelegenheit. Später als mikrobiologische Verfahren — etwa bei der Entdeckung von Penicillin oder Antibiotika — ökonomisch interessant wurden, behalf man sich mit einer Beschreibung der technischen Verfahren und zusätzlich der Hinterlegung der zugrundeliegenden Mikroorganismen bei eigens dafür eingerichteten Institutionen. 1980 bestätigte dann der Supreme Court erstsmals die Patentierung eines genmanipulieren Mikroorganismus. Der entscheidende Unterschied liege „nicht zwischen lebendigen und unbelebten Dingen, sondern zwischen Produkten der Natur, lebend oder nicht, und menschlich erzeugten Erfindungen“, hieß es in der richterlichen Begründung. Das Europäische Patentamt vollzog diesen Schritt wenig später.

Der nächste folgte sogleich. Mit der Möglichkeit auch Pflanzen und Tiere gentechnologisch zu verändern wuchs das Interesse, die Ergebnisse solcher, in aller Regel aufwendiger Forschungen ebenfalls patentieren zu lassen. Für Schlagzeilen sorgte 1988 das in den USA erteilte Patent auf jene „unglücklichen“ Mäuse (Myc-Maus), die durch Genmanipulation besonders krebsanfällig gemacht wurden.

Die EG-Kommission reagierte sofort: Unter Umgehung noch geltender gesamteuropäischer Patentabkommen und Verträge über den sogenannten Sortenschutz sollen nach der nun geplanten Richtlinie „Lebewesen prinzipiell patentierbar“ sein — und zwar bis hin zu Teilen des menschlichen Körpers.

Die Kritiker fürchten nicht nur die ethische, sondern auch die wirtschaftliche und politische Brisanz der Patentierung von Leben. Patente, die ursprünglich vergeben worden seien, um Erfindungen zu schützen, würden nun beispielsweise die bäuerliche Landwirtschaft und den Zuchtbetrieb hierzulande, aber auch ganze Agrarwirtschaften in der Dritten Welt, zu Lizenznehmern der Gentechnik-Industrie machen. Ob die nun anlaufende Kampagne in der Bundesrepublik auf Resonanz stößt, erscheint angesichts der rasanten gentechnologischen Entwicklung zweifelhaft. Aber immerhin hat die Gentechnik-Enquete- Kommission des Bundestages schon vor zwei Jahren „grundsätzliche Zweifel“ erhoben. Die Patentierung mache die „Tiere zu technischen Produkten des Menschen“. Der Präsident des bundesdeutschen Patentamtes, Erich Häußer, hält allerdings derartige Äußerungen für „hinterwäldlerisch“. Häußer in einem taz- Interview 1988: „Das ganze Leben ist ein Risiko.“