NEULICH ...... im Fenster

■ Von Müßigkuckern, Häuseraugen und tiefblickenden Passanten / Geschichten vom Hörensehen, die siebte

Sind Fenster eigentlich zum Kucken da? Was für eine Frage! Woher soll man denn sonst wissen, wie wetterwendisch man hinaus ins feindliche Leben muß! Aber was ist das schon: Hinterglasiges Zweckkucken ist das und sonst gar nichts! Die Fenster können einem leid tun! Vor Gardinen blinde Häuseraugen! Und die Fensterbänke sind zur alpenveilchinisierten Sichtsperre verwachsen. Der Fast-Look zum Fast-Food.

Ach Fenster! Vorbei die Zeiten, da du als Medium zwischen Zimmermenschen auf Kissenposten und Straße vermitteltest! Da alte Damen mit Polsterbusen und alte Männer mit durchgescheuerten Ellenbogen ihre Nasen nicht nur voyeuristisch in etwas hinein, sondern vor allem aus etwas herausstrecken wollten!

Der Müßigkuck hat einfach keine Lobby mehr! Weil er im Gegensatz zum Müßig- Gang des Flaneurs kein Publikum hat. Der Müßigkucker muß sich selbst als Publikum genug sein. Wer ist das schon? Obwohl wir seit Hitchcock wissen, daß man vom bloßen Am-Fenster-Sitzen Morde nicht nur beobachten, sondern auch aufklären kann. Hat aber schon mal jemand bedacht, was solch eine Fenster-Unkultur nach sich zieht? Daß kein Mensch beim Passieren von Straßen und Wegen mehr nach oben kuckt — weil's einfach nichts mehr zu sehen gibt! Eine Behauptung?

Eigenversuche bringen teilweise niederschmetternde Verifizierung:

Ich lege mich also neulich auf übereinandergeschlagenen Armen in mein Fenster zur Straße. Die Straße ist eng und klein, das Fenster im ersten Stock. Da — von rechts Herr und Hund. Mal Herr hinter Hund, mal Hund hinter Herr — auf jeden Fall nichtkuckende Leisetrotter und Törchenbepinkler. Dem Hund sei verziehen wegen der tausend Riechanreize. Aber der Herr tritt das Trottoir derart gesenkten Hauptes, als würden dort Fußangeln lauern.

Fallstudie 2: Ein Student geht vorbei. Mit Walkman. Geschenkt.

Fallstudie 3: Mutter mit Kind von links, Kind immer hinter Mutter. Die Mutter hat es so eilig, daß sie immer wieder warten muß. Wegen der Kleinen, die trödelt so. Und jawohl, das ist meine Chance: Das Kind kuckt im Rundumtrödel aus Versehen hoch, sieht mich, zeigt nach oben und ruft: Tuckma, Mama, daaa! Mama sagt jaja und tuckt nich. Ich lache gequält zum Kind und wende mich ab. Hin zu meinem gegenüberliegenden Fenster zum Hof.

Gegenüber, Parterre, wohnt ein jüngeres Ehepaar mit seiner Katze. Das Ehepaar hat mich in seinem Hofleben noch nie in meinem Fenster gesehen. Nur die Katze. Sie döst hinter ihrem Fenster, und ich muß mich nur ein kleines bißchen bewegen: schwupp, da kuckt sie hoch und wir liebäugeln ein bißchen. Das ist tröstlich. Neulich hat sie Kunststückchen für mich gemacht, und wir beide in unseren Fenstern haben uns sehr amüsiert. Was natürlich wieder keiner gesehen hat. Claudia Kohlhase